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Dem Dampfer nachwinken Dem Dampfer nachwinken: Mario Schneider debütiert als Erzähler

Von christian eger 17.02.2014, 07:14
Mario Schneider, Dokumentarfilmer und Autor
Mario Schneider, Dokumentarfilmer und Autor jürgen lukaschek Lizenz

Halle (Saale)/MZ - Es war einmal in Amerika: Im 19. Jahrhundert ziehen von Italien her eine Frau und von Irland aus ein Mann ins gelobte Land, wo sie einander über den Weg laufen. Und nicht nur das. Noch bevor die italienische Armutsflüchterin so richtig nach Westen, ins Goldrauschtraumland Kalifornien aufbrechen kann, ist sie bereits schwanger, dem Iren sei dank. Den großen Treck kann sie abhaken. Den Traum vom goldenen Westen. Sie bleibt mit ihren Lebenswünschen hängen auf halber Strecke. Im heutigen Staat Wyoming. Ländlich, flächig, bevölkerungsarm. Wenn man so will, ein amerikanisches Sachsen-Anhalt.

Der Ire schlägt vier Pflöcke ein um den abgehängten Planwagen, baut ein Haus und einen Stall. Dabei bleibt es nicht. „Andere Familien siedelten sich in der Nachbarschaft an“, schreibt Mario Schneider in seiner Erzählung „Gespräche mit oben - Winnie“. Und siehe da: „Das Städtchen wuchs, und es entstand nur aus einem einzigen Grund, weil sie es alle nicht geschafft hatten. Eine Siedlung von Versagern und Schwächlingen. Nichts anderes hatte Winnie je von diesen Leuten, den Gründungsvätern der Stadt, gedacht.“ Winnie, ein Mädchen von heute, das weg will aus Wyoming. Als Helferin in einer onkologischen Praxis lernt sie Steve kennen, einen jungen, eigenwilligen Milliardär. Eine Geschichte nimmt ihren Lauf, die in einem „Gespräch nach oben“ endet, das Winnie vom Pool der gemeinsamen Villa aus mit ihrem abwesenden Geliebten führt, der sich einen Flug ins Weltall gekauft hat.

Menschen und Momente

Was für ein Setting. Was für eine reizvolle Idee. „Winnie“ ist eine rundum gelungene Geschichte: ausgeruht, originell, Zug um Zug verblüffend. Schließlich erstaunt das: Geschrieben wurde dieses Stück Prosa in Mitteldeutschland, von einem Autor, der bislang ausschließlich als Dokumentarfilmer bekannt ist. Der Hallenser Mario Schneider, Jahrgang 1970, konnte mit seinen Mansfeld-Filmen „Helbra“, „Heinz und Fred“ und „MansFeld“ Erfolge feiern. Die könnte er als Schriftsteller fortsetzen.

„Die Frau des schönen Mannes“ heißt Schneiders Debütband, der 17 Erzählungen um Menschen und Momente bietet. Um jene Augenblicke, die in Sekundenbruchteilen ein Leben ändern können oder in einem anderen Licht ganz neu kenntlich machen. Ein totgeglaubter Vater taucht auf („Buenos dias, Vater!“). Eine gekaufte Liebe erscheint als die wahre („Ich mag dich sogar sehr!“). Eine gutgemeinte Lüge erweist sich als Beziehungszündschnur („Gespräche mit oben - Katharina“). Mal zählen Schneiders Geschichten 20 Seiten, mal nur ein Blatt. Man kann sie nacheinander lesen. Immer wird ein anderes Thema geboten, eine andere Farbe, ein anderer Ort.

Kurzprosa ist ein schwieriges Geschäft - und Schneider beherrscht es. Was er bietet, gehört zum Besten, was in diesem Genre in Mitteldeutschland seit vielen Jahren zu lesen war. Dabei ist nicht jede Erzählung Gold, aber niemals langweilig oder banal. Sobald Schneider seiner eigenen Lebenswelt nahe kommt, läuft er Gefahr, zu schnell am Ziel zu sein, ohne genug gestaltet, genug erklärt zu haben. Aber das bleibt die Ausnahme.

Von der Dachterrasse

Was Schneider erzählt, sind nicht vordergründig moralische Geschichten. Es sind Glückssucher-Storys. Suchbewegungen hin auf das gelingende Leben. Immer werden Lebensfragen gestellt: von einer Tochter, einem Sohn, sogar in Gegenwart eines gefesselten Zoo-Krokodils. Unaufdringlich geht Schneider den Tatsachen nach. Von denen verlangt nicht jede nach einer Erklärung. Dann steht der Leser neben der schwer erkrankten, aber keinesfalls verzweifelten „Frau des schönen Mannes“ und schaut von der Dachterrasse eines Hotels auf einen Fluss herab, der die Saale sein könnte. „Unter uns auf der Promenade gingen Leute spazieren, und einige winkten dem davonfahrenden Damper nach, der nun schräg in der Strömung trieb.“

Buchpremiere: 23.2., 18 Uhr, Luchs-Kino am Zoo in Halle, Seebener Straße 173. Es liest Udo Schenk. Als Zugabe der Kurzfilm „Das zweite Geschenk“.

Mario Schneider: Die Frau des schönen Mannes. Erzählungen, Mitteldeutscher Verlag, 160 Seiten, 12,95 Euro
Mario Schneider: Die Frau des schönen Mannes. Erzählungen, Mitteldeutscher Verlag, 160 Seiten, 12,95 Euro
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