DDR-Spitzensportler im Visier der Staatssicherheit DDR-Spitzensportler im Visier der Staatssicherheit: Schau zeigt Schicksal geflüchteter DDR-Athleten
Potsdam - Mehr als drei Millionen Menschen sind von 1949 bis 1989 aus der DDR in den Westen geflüchtet. Darunter waren auch namhafte Spitzensportler wie die Hürdensprinterin Karin Balzer und der Fußballer Falko Götz. Im Brandenburger Landtag wird am Dienstag (18.00) eine Multimedia-Ausstellung eröffnet, die sich anhand von 15 Einzelschicksalen mit dem Thema „Republikflucht“ von DDR-Spitzensportlern auseinandersetzt. Konzipiert und umgesetzt wurde die Schau vom Zentrum Deutsche Sportgeschichte und der mexikanischen Künstlerin Laura Soria. Zu sehen ist sie in Potsdam bis zum 30. Mai.
Auch nach der Flucht im Visier
Mit der Flucht waren die meisten Spitzensportler noch lange nicht den Fängen der Staatssicherheit entkommen. Abgestempelt als „Landesverräter“ gerieten sie jetzt erst recht ins Stasi-Visier und wurden im Rahmen eines „Zentralen Operativen Vorgangs“ (ZOV) ausspioniert und „zersetzt“. Unter dem Titel ZOV „Sportverräter“ hat die Stasi bis 1989 mehr als 60 Personen „bearbeitet“, heißt es in einem Begleitbuch zur Ausstellung. Ende 1961 sei der Vorgang angelegt worden.
Durch den Leistungssport lernten sie die große, weite Welt kennen - zahlreiche DDR-Athleten trieb der Wunsch nach Freiheit schließlich zur Flucht in den Westen. Der BFC-Fußballer Lutz Eigendorf, der vor 30 Jahren auf mysteriöse Weise ums Leben kam, ist nur einer von etwa 600 Spitzensportlern, die es auf manchmal gefahrvollen Wegen in den Westen zog. Im Osten Deutschlands wurden sie einst als Idole verehrt, nach ihrer Flucht jedoch als Vaterlandsverräter beschimpft.
1979 nutzt der Fußballtrainer eine Jugoslawien-Reise zur Flucht in den Westen. Dort muss er zunächst von Sozialhilfe leben, da der Deutsche Fußball-Bund seine DDR-Trainerlizenz nicht anerkennt. Später beißt er sich durch und betreut mit Erfolg die Bundesligisten Eintracht Frankfurt, 1. FC Köln und Schalke 04. Ein Jahr vor seinem Krebstod 2010 veröffentlicht Berger seine Autobiografie mit dem Titel „Meine zwei Halbzeiten. Ein Leben in Ost und West“.
Nach einem Fußball-Freundschaftsspiel des BFC Dynamo beim 1. FC Kaiserslautern setzt sich der DDR-Nationalspieler in den Westen ab. Am 21. März 1979 nutzt er einen Einkaufsbummel in Gießen zur Flucht. Der DDR-Fußballverband beantragt eine zweijährige Sperre für Eigendorf, doch die FIFA erteilt ihm nach Ablauf der einjährigen automatischen Sperre die Spielerlaubnis. Im Frühjahr 1983 kommt er bei einem Autounfall ums Leben. Danach gibt es zahlreiche Indizien, dass die Stasi in den Fall verwickelt ist.
Im November 1983 nutzt der Fußballer ein Europapokalspiel des DDR-Meisters BFC Dynamo bei Partizan Belgrad zur Flucht. Über die Belgrader Botschaft der Bundesrepublik kommt der DDR-Juniorenauswahlspieler zu Bayer Leverkusen. Die Verbindung des späteren Trainers von Hertha BSC zu Coach Dettmar Cramer kommt über Jörg Berger zustande.
Ein Stasi-Spitzel lockt den Olympia-Zweiten im Diskuswerfen von 1976 in Montreal mit einem fingierten Fluchtplan in die Falle. 1982 wird er zu einer anderthalbjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Erst Ende 1987 darf er aus der DDR ausreisen - zu spät, um für die Olympischen Spiele 1988 in Seoul nominiert zu werden.
Der Skisprung-Olympiasieger von 1976 und Oberstleutnant der Nationalen Volksarmee gilt als eine der schillerndsten Figuren des DDR-Sports. 1988 gelingt ihm die Flucht in den Westen, seine Familie muss er zunächst in der Heimat zurücklassen. Erst wenige Monate vor dem Fall der Mauer erhalten seine Angehörigen durch Vermittlung der UNO die Erlaubnis, nach Freiburg überzusiedeln, wo Aschenbach als Arzt arbeitet.
1979 flüchtet die dreimalige Schwimmweltmeisterin über Ungarn in den Westen. Ihr Mann wird in der DDR als potenzieller Fluchthelfer verhaftet. „Der Sport ist der einzige Weg, ins Ausland zu kommen. Das ist eine Motivation, die man in der Bundesrepublik gar nicht kennt“, sagt sie nach ihrer Flucht in einem dpa-Interview.
Mit Unterstützung durch Reck-Weltmeister Eberhard Gienger, heute CDU-Abgeordneter im Bundestag, flieht der prominente Turner am 2. Juni 1975 während der Europameisterschaft in Bern. In Leverkusen schließt er sich Bayer 04 an und wird 1977 deutscher Mehrkampf-Meister, gewinnt auch am Pauschenpferd und beim Sprung.
Mehr als 615 Sportflüchtlinge
Ziel war es dabei, „Gründe, Motive und Umstände des ungesetzlichen Verlassens der DDR, mögliche Abwerber und deren Hintermänner, Rückverbindungen in die DDR, gegen die DDR gerichtete feindliche Handlungen dieser Personen aufzuklären“, zitieren die Buchautoren Jutta Braun und René Wiese aus einem Recherchebericht des Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen. Nach Stasizählungen soll es mehr als 615 Sportflüchtlinge gegeben haben. Die Dunkelziffer könnte aber sehr viel höher liegen.
Gab es Auftragsmorde?
Einer der aufrührendsten Fälle ist die Flucht von Lutz Eigendorf. Nach einem Fußball-Freundschaftsspiel des BFC Dynamo beim 1. FC Kaiserslautern setzt sich der DDR-Nationalspieler in den Westen ab. 1979 nutzt er einen Einkaufsbummel in Gießen zur Flucht. Im Frühjahr 1983 kommt er bei einem Autounfall ums Leben. Danach gibt es zahlreiche Indizien, dass die Stasi in den Fall verwickelt ist. Der Verdacht eines Auftragsmordes liegt nahe.
„Den Fall Eigendorf zeigen wir in der Schau nicht. Wir haben auf noch lebende Sportler zurückgegriffen und mit den Protagonisten Videos über ihren Lebensweg gedreht“, erklärte Ausstellungsbetreuer Michael Schäbitz.
Thüne und Gienger bei Eröffnung dabei
Bei der Ausstellungseröffnung im Landtag wird der Potsdamer Turner Wolfgang Thüne dabei sein. Nachdem Thüne seinem schärfsten westdeutschen Konkurrenten Eberhard Gienger bei der WM 1974 unterlegen war, wurden die Trainingsmethoden zunehmend risikoreicher. Dies führte zu einem Dauerkonflikt mit seinem Trainer, da sich Thüne um seine Gesundheit sorgte. Nach seinem schlechten Abschneiden bei der EM 1975 in der Schweiz schließlich fürchtete Thüne bei der Rückkehr disziplinarische Konsequenzen.
Daher sprach er Gienger an, ob er ihn nach Westdeutschland fahren könnte. Die Flucht gelang. Konsequenz: Thünes Familie in der DDR wurde jahrelang überwacht und war Stasi-Repressalien ausgesetzt. Er selbst wurde in Abwesenheit zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt. Sowohl Thüne als auch Eberhard Gienger werden am Dienstag im Landtag der Ausstellungseröffnung beiwohnen und über ihre Erfahrungen berichten. (dpa)