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DDR-Kinderbuchautor DDR-Kinderbuchautor: Benno Pludra im Alter von 88 Jahren gestorben

Von Christian Eger 28.08.2014, 07:23
Der Kinderbuchautor Benno Pludra ist im Alter von 88 Jahren gestorben
Der Kinderbuchautor Benno Pludra ist im Alter von 88 Jahren gestorben dpa Lizenz

Halle (Saale) - Das Meer, immer wieder das Meer. Das war Benno Pludras Landschaft - und die seiner Bücher. „Bootsmann auf der Scholle“, „Lütt Matten und die weiße Muschel“, „Die Reise nach Sundevit“. So hießen die Titel, die den Mann berühmt machten, der eine Schiffsjungenfrisur trug: die weißen Haare über der Stirn rund geschnitten.
Bücher, die im Osten viel gelesen wurden. Und viel gekauft: Allein eine Million Mal das „Trompeter“-Büchlein über den Hund, der Bootsmann hieß und von Matrosen von einer Eisscholle weg aus der Ostsee gerettet wurde. Und wenn einmal in den Büchern das Meer nicht vorkam, dann die Sehnsucht danach. Warum? „Berge bröckeln, werden abgetragen, aber das Meer ist immer wieder neu“, sagte der Schriftsteller, der nicht von der Küste, sondern aus dem Niederlausitzer Industrierevier stammte, in einem seiner letzten Interviews.

Gerettet in Norwegen

Da war er bereits weit über 80 Jahre alt, lebte nach dem Tod seiner Frau in einem Altersheim in Potsdam. Mit dem Schreiben hatte der Vater von zwei Söhnen längst aufgehört. So gründlich, dass ihm diese Tätigkeit als rätselhaft, ja wenig sinnvoll erschien. Nicht in der Literatur, sondern „nur in uns selbst sind noch Träume“, sagte er. „Aber glauben sie: Dort wo Ruhe ist, sind auch noch Abenteuer.“
Träume hatte er, die Abenteuer musste er finden. Die sucht Benno Pludra von Kindheit an auf dem Wasser. Ausgerechnet Pludra, der Sohn eines Metallarbeiters, 1925 geboren im heutigen Lauchhammer (Brandenburg), aufgewachsen zwischen Braunkohlehalden- und Tagebauen. 17 Jahre alt ist er, als er sich 1943 nach der Mittleren Reife von seinen Eltern verabschiedet, um nach Hamburg zu ziehen. Kapitän will er werden und heuert an auf dem Segelschulschiff „Padua“. Monate des Glücks im Krieg.

Matrose in Norwegen

Nach der Ausbildung dient Pludra als Matrose auf einem Frachter, der die Wehrmachtsstationen in Norwegen mit Kohle versorgt. Im Dezember 1944 trifft ein Torpedo das Schiff. Pludra überlebt. Aus dem eisigen Wasser wird der Teenager in ein Rettungsboot gezogen. Seitdem sind seine Haare weiß.

Arbeit in der "Freiheit"

Pludra setzt sein Leben auf dem Landweg fort. Der führt durch Sachsen-Anhalt. Von 1947 bis 1948 holt der Matrose das Abitur an der Arbeiter- und Bauernfakultät in Halle nach, um dort zwei Semester Germanistik, Geschichte und Kunstgeschichte zu studieren. Pludra beginnt zu schreiben. Kleine Wirtschaftsreportagen zuerst und Kurzgeschichten vom Lande, die in der halleschen „Freiheit“ erscheinen, dem Vorgängerblatt der Mitteldeutschen Zeitung. „Begegnung an der Brücke“ heißt so ein kleines Lesestück, das am 16. September 1948 auf der dritten Seite zu finden ist: „Dumpf dröhnen Pferdehufe über die Bohlen der Pontonbrücke. Die Räder der schwerbeladenen Wagen knarren und ächzen.“ So beginnt die Miniatur, die vormalige Soldaten als Bauern zeigt, der Zukunft zugewandt.
In Berlin setzt Pludra das Studium fort, das er bald darauf beendet. Das Schreiben nicht. Pludra arbeitet als „Freiheit“-Lokalreporter in Merseburg, später für die „Märkische Allgemeine“, dann als Redakteur einer Rundfunkzeitung in Berlin. 1952 ist Schluss mit der Zeitungsarbeit: Er gewinnt ein Preisausschreiben zur Förderung der sozialistischen Kinderliteratur.

Fünf Millionen Bücher

Insgesamt fünf Millionen zählt die Auflage von Pludras Büchern. Titel, die nach 1989 auch im Westen gelesen werden. Schnörkellose Sprache, schöne Sprachbilder, untergründig immer eine leichte Melancholie: Das sind die Eigenschaften der Pludra-Prosa.
Die liefert keine Erbauungsliteratur, auch keine forcierte Humorigkeit. Einen „Zitterbacke“ hätte er nie schreiben können, sagte Pludra einmal, der sich als Autor alsbald mit seiner Familie in Nedlitz bei Potsdam ansiedelt, ans Ufer des Havel-Kanals. Von dort aus träumt sich Pludra, der märkische Landmatrose, ans Meer, wo seine Helden leben. Der kleine Matten (Lütt Matten), der mit seiner selbstgebauten Reuse keinen Fisch fängt. Er träumt von der weißen Muschel, von der erzählt wird, dass sie den großen Fang bringen würde. Oder Tim Tammer, der Junge im Ostseedorf Möwenort. In den Sommerferien begegnet ihm eine Gruppe von Pionieren, die mit ihren Zelten nach Sundevit ziehen - und Tim kurzentschlossen mit ihnen.
Rund 50 Bücher veröffentlicht Pludra, der für seine jungen Leser Themen aufnimmt, die bis dahin für die „Erwachsenen“-Literatur in der DDR ausgespart waren: in „Lütt Matten“ das Verhältnis von Vater und Sohn, das Fernweh der jungen Generation in der „Reise nach Sundevit“, die Heimatlosigkeit in den neuen, aus Beton errichteten Planstädten. Die greift Pludra 1983 in seinem Jugendbuch „Insel der Schwäne“ auf. Ein Buch, von dem der Schriftsteller Clemens Meyer („Als wir träumten“) am Donnerstag auf MDR Figaro sagte, dass es ihn als Kind sehr bewegt habe und er es mehrfach gelesen hätte. In der Verfilmung von Ulrich Plenzdorf (Drehbuch) und Hermann Zschoche (Regie) wird es ein Politikum.

Tiefe Krise

Nach 1989 legt der von Beltz fortgeführte Kinderbuchverlag eine Pludra-Reihe auf. Das Publikum gibt es. Aber den Autor? Für den SED-Mann und Nationalpreisträger ist das Weiterschreiben nicht selbstverständlich. Das Ende der DDR stürzt ihn eine tiefe Krise. Doch nicht auf Dauer. „Allerdings weiß ich, dass es von Anfang an falsch gelaufen ist; es gab zu wenig Demokratie und wurde zu viel auf Gewalt gesetzt“, sagt er.
Und 1999 in Halle: „Ich will mal einfach so drauflos fabulieren, märchenhaft, ohne jeden Familienquark - da muss man immer so höllisch aufpassen.“ Es ist ihm gelungen. Poetisch, unaufdringlich. Statt eines Nationalpreises gibt es den Deutschen Jugendliteraturpreis. Den nimmt der Mann mit dem Jungengesicht 2004 entgegen. Er wurde 88 Jahre alt. Am Donnerstag ist Benno Pludra in Potsdam gestorben. (mz)