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DDR-Geschichte DDR-Geschichte: Ein Fenster der Erinnerung für die Mauer-Opfer

Von Jutta Schütz 20.05.2010, 15:09
Im Berliner Fenster des Gedenkens auf dem früheren Todesstreifen werden 96 Fotos von Mauer-Opfern gezeigt. ARCHIV - (FOTO: DPA)
Im Berliner Fenster des Gedenkens auf dem früheren Todesstreifen werden 96 Fotos von Mauer-Opfern gezeigt. ARCHIV - (FOTO: DPA) dpa

Berlin/dpa. - Auf der Geschichte wächst Gras. Doch vergessen istnichts: Wo in Berlin die Mauer in der Bernauer Straße verlief, stehtjetzt umgeben von Rasen ein großer rostiger Stahlblock mit Fotos vonMenschen, die durch das DDR-Grenzregime starben. OriginaleMauerteile, Wege und Fundamentreste erinnern auf dem früherenTodesstreifen an die Opfer der Teilung. Knapp 20 Jahre nach derWiedervereinigung wird an diesem Freitag nun der erste Abschnitteiner riesigen Erinnerungslandschaft unter freiem Himmel an derBernauer Straße - dem einstigen Symbol der deutschen Teilung -eröffnet. Dazu hat sich auch Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU)angesagt.

Aus dem Fenster der Erinnerung blickt auch der kleine AndreasSenk. Der Kleine aus West-Berlin, zufällig ins Wasser gefallen,ertrank 1966 in der Spree vor den Augen tatenloser DDR-Grenzposten.Mindestens 136 Todesopfer an der Berliner Mauer haben Wissenschaftleraufgelistet, darunter sind auch einige DDR-Grenzsoldaten. Für neuentdeckte Fälle gibt es noch freie Nischen in dem Erinnerungsfenster.Die Flüchtlinge kamen aus allen Teilen der DDR.

In der Bernauer Straße verlief die Mauer genau an der östlichenHäuserfront. Die bewohnten Häuser gehörten zum Osten, der Bürgersteigzum Westen. In den ersten Tagen nach dem Mauerbau vom 13. August 1961sprangen noch Menschen aus den Fenstern. Manche schafften den Sprungin die Freiheit nicht. Auch das Bild von dem DDR-Soldaten, der in derBernauer Straße über Stacheldraht in den Westen sprang, ging um dieWelt.

Besucher können auf dem ersten, einen Hektar großen Abschnitt anInformationsstelen mehr über das Leben der Opfer und die 155Kilometer lange Berliner Mauer erfahren. Auch der Appell von WillyBrandt «an alle Funktionäre des Zonenregimes» kurz nach dem Mauerbauvom 13. August 1961 ertönt: «Lasst euch nicht zu Lumpen machen!»

«Aus dem Tatort wird ein Lern-, Erinnerungs- und Gedenkort. Wirerzählen die Geschichten der Menschen dort, wo sie passiert sind»,sagt der Direktor der Stiftung Berliner Mauer, Axel Klausmeier. Bis2012 soll auf dem 1,3 Kilometer langen früheren Grenzareal dieGeschichtslandschaft auf 4,4 Hektar fertig sein, zu besichtigen Tagund Nacht, ohne Eintritt. Etwa 28 Millionen Euro fließen von Bund,Land und der EU.

Schon zum 20. Jahrestag des Mauerfalls am 9. November 1989 wurdedas neue Besucherzentrum eröffnet - ebenfalls mit einer Hülle ausrostigem Stahl. Es wurde wieder das Material eingesetzt, das schonbei dem nationalen Denkmal zur Erinnerung an die Teilung in derBernauer Straße verwandt wurde. Die künftige Erinnerungslandschafterstreckt sich zu beiden Seiten des Mahnmals.

Heftig war über die Erinnerungslandschaft diskutiert worden, dieerst seit ein paar Jahren im Mauer-Gedenkkonzept des rot-rotenBerliner Senats verankert ist. In der Nachwende-Euphorie waren großeTeile der verhassten Mauer abgerissen, geschreddert oder in alle Weltverkauft worden. Erst nach und nach kam die Erkenntnis, dass auchZeugnisse der Geschichte gebraucht werden. Doch wie mit den Restenumgehen? Die Grenzanlagen wieder aufgebauen? Gehen Touristen nichtlieber in das Museum am Checkpoint Charlie, wo es mehr Geschichte zumAnfassen gibt - Geschichts-Disneyland hin oder her? Ist die BernauerStraße zu abgelegen für die großen Besucherströme?

Historiker Klausmeier ist überzeugt, dass die Gedenklandschaft inder Bernauer Straße «nationalen Rang» hat. Es werden noch mehrMenschen aus aller Welt kommen, schon im Vorjahr habe es einen Boombeim zeitgeschichtlichen Interesse gegeben. Er verweist auf die«materielle Spurendichte» in der Bernauer Straße. Das sei einmaligund spreche für sich. «Wir rekonstruieren hier gar nichts.»

Die Architekten Christian Fuchs und AW Faust legten stattdessenSpuren frei. Wo Originalteile fehlen, wurde das zum Beispiel mitStahlbändern deutlich gemacht. «Der Besucher wird mit derauthentischen Substanz konfrontiert», sagen die Gestalter. Es ist einOrt «höchster emotionaler Dichte und Verlorenheit». Das könnte auchSchüler in den Bann ziehen.

Auch ein Stückchen weiter, in der Kapelle der Versöhnung wirdGeschichte lebendig. Sie wurde auch mit Bruchstücken auf demFundament der gesprengten Kirche errichtet, die einst imTodesstreifen stand. Auf Befehl der DDR-Oberen wurde das Gotteshaus1985 in die Luft gejagt, weil es die Grenze so «unübersichtlich»machte. Jeden Tag wird dort eine Kerze für eines der Maueropferentzündet.

Im Berliner Fenster des Gedenkens auf dem früheren Todesstreifen. Die tonnenschwere Konstruktion aus rostigem Stahl zur künftigen Mauer-Erinnerungslandschaft in der Bernauer Straße. ARCHIV - (FOTO: DPA)
Im Berliner Fenster des Gedenkens auf dem früheren Todesstreifen. Die tonnenschwere Konstruktion aus rostigem Stahl zur künftigen Mauer-Erinnerungslandschaft in der Bernauer Straße. ARCHIV - (FOTO: DPA)
dpa