DDR-Geschichte DDR-Geschichte: Die Staatssicherheit, mein Vater und ich

Halle/MZ. - Bewunderung braucht Jonscher (geboren1959) nicht, er wollte seine Geschichte loswerden.
Der in Halle aufgewachsene Jonscher geriet1980, mit 21 Jahren, in die Fänge der Stasi.Vier Monate Untersuchungshaft im halleschenGefängnis "Roter Ochse", Einzelhaft, ein Jahrund sechs Monate Freiheitsstrafe wegen "öffentlicherHerabwürdigung". Wofür? Für eine Wandzeitung,die er zum 31. Republik-Geburtstag gestaltetund mit der er mangelnde Meinungs- und Pressefreiheit,Willkür, Unterdrückung und Doppelmoral inder DDR attackiert hatte.
Unter dem Titel "Die Wandzeitung. Das Vergehendes Thomas Jonscher. Eine Geschichte aus derDDR" hat der Berliner Journalist Roman Grafedas Erlebte aufgeschrieben und veröffentlicht.Knapp und lakonisch fällt dieser Bericht aus;nur manchmal werden die Ränder der Verzweiflungberührt. Eine packende Idee, ihn um zwei Perspektivenzu erweitern. In Briefen und TagebuchnotizenJonschers kommen Zorn und Hoffnung, Demütigungund Selbstvergewisserung unter dem Eindruckder Ereignisse zur Sprache. Daneben sind Auszügeaus den Vernehmungsprotokollen der Stasi abgedruckt,in denen Jonscher als Objekt der Zersetzungund Kriminalisierung erscheint.
Das Brisante dieser Geschichte: JonschersVater war Oberstleutnant beim Ministeriumfür Staatssicherheit, zuerst in Halle, dannin Schwedt. Das Politische ist hier höchstpersönlich und umgekehrt. "Meinen Alten bewunderteich nicht, der war nur autoritär: Wenn ichwas angestellt hatte, gab‘s erst einmal was- piff, paff! Wenn ich gefragt habe, gleichnoch eine. Dann war wieder alles klar.", heißtes. Dabei ist der Junge einfach nur naiv,renitent und auf der Suche nach seinem eigenenWeg. Seltsam beziehungs- und kommunikationslosbleibt das Verhältnis zwischen beiden. Dieideale DDR des Vaters kollidiert zunehmendhärter mit den Wirklichkeitserfahrungen desSohnes in der Schule, in der Ausbildung undbei der NVA. Die vorgesehene Karriere beider "Firma" verweigert Jonscher schließlichund flüchtet in ein Altersheim als Hilfspfleger.
Nach seiner Verhaftung lernt der junge Manndie dunkelschwarze Seite des Sozialismus kennen.Er klagt nicht an; die Fakten sprechen fürsich. Einzelhaft. Brutale Verhöre. Dumme Vernehmer.Auf den Roten Ochsen folgt das Gefängnis inBrandenburg. Der Vater lässt alles geschehen.Hauptamtlich bei der Stasi - das war für ihnoffenbar kein Beruf, sondern eine Lebensentscheidung,die strikte Loyalität zur Folge hatte. Wennnötig, auch gegen die Familie. Eine bitter-wahreGeschichte wird hier erzählt, die daran erinnert,dass der "Rote Ochse", Hohenschönhausen, Bautzenund Hoheneck entgegen der zynischen Behauptungenfrüherer Stasi-Generäle alles andere als gemütlicheBehausungen waren.
Erhältlich beim Verein Zeitgeschichte(n)in Halle, Tel.: 0345/ 2036040).