DDR DDR: Archiv über Ost-Punk in Berlin-Pankow eröffnet

Berlin/dapd. - Ein ganz normales Büro aufden ersten Blick.
Wie bunt und brisant die Materialsammlung selbst ist, könnenInteressierte ab Montag (18. Juli) erfahren, wenn das Archiv unterdem Namen «Substitut» seinen Betrieb aufnimmt.
Geführt wird das Büro in der Damerowstraße 3 von Michael Boehlke.Boehlke ist selbst Teil des Archivs: Zu DDR-Zeiten gehörte er zumKern der Ostberliner Punkerszene und war republikweit bekannt, weiler mit seiner Band Planlos den Untergrund der DDR aufmischte.
Zwtl.: 5.000 Fotos, dazu Filme und Stasiakten
«Heute ist das für mich ein Geschäft», gibt Boehlke unumwundenzu. «Das von ihm zusammengetragene Archiv umfasst 5.000 Fotos,Super-8-Filme, Poster, Musikmitschnitte und Stasiakten. Alles istkatalogisiert und beschriftet. Besucher können vorbei schauen odersich die Daten digital zustellen lassen. Forscher sind willkommen,wer Fotos oder Filmmaterial kommerziell verwerten möchte, muss dafürzahlen.
Ganz der nüchterne Geschäftsmann ist Boehlke aber denn dochnicht. Sein Punk-Name »Pankow« blieb, womit er auf den HeimatbezirkBezug nimmt. Und obwohl Boehlke »Substitut« mit drei Mitarbeiternprofessionell aufgezogen hat und zwischen »Person und Geschäfttrennt«, wie er sagt, steckt der Anarchist »Pankow« noch tief drin.
Richtig bewusst geworden ist ihm das 2005. Damals bereitete erdie Ausstellung »ostPunk! - Too much future« vor, die vomgleichnamigen Dokumentarfilm begleitet wurde. Ein Buch folgte. »DieRecherche dazu war für mich auch Chance und Pflicht zurAufarbeitung«, sagt Boehlke heute. Dazu zählte auch das Traumaseiner Stasihaft.
Der Film reist noch immer durch die Welt und zeigt, dassJugendliche in der DDR nicht uniform die Blauhemden der FreienDeutschen Jugend (FDJ) trugen, sondern gelegentlich auch blaugefärbte Haare.
Mehr noch: Punk aus Ostberlin, wie ihn »Pankow« und seine Kumpelszelebrierten, hatte Schnittmengen mit der Modeavantgarde der DDR.Das betraf die Frisuren, aber auch das Design der Kleidung und wurdebei Kunst-Feten deutlich. Später sogar bei staatlich organisiertenModenschauen.
Zwtl.: DDR-Punks als Fotomodelle
Festgehalten ist das im Modezentralorgan »Sibylle«, derenFotografen bei den Punks ein- und ausgingen. So wundert es nicht,dass die Bilder im Archiv einerseits Amateurbilder sind,andererseits Urheber-Namen wie Helga Paris, Harald Hauswald und SvenMarkquardt tragen. Markquardt gilt heute als der »härteste Türstehervon Berlin«, sein Arbeitsplatz ist der Technoclub Berghain.
Das Punker-Archiv erzählt auch Geschichten von Enttäuschung undVerrat. So entpuppten sich nach 1989 gleich zwei Mitglieder derLeipziger Band »Wutanfall« als Spitzel der Staatssicherheit. Auseinigen Punkern waren Neonazis geworden. Ein berühmter DDR-Punkstieg zum Chef einer Rockerbande auf.
Die Sammlung zeigt auch, dass die Szene in der DDR alles andereals homogen war. »Wir hatten hier beispielsweise eine andere Härtein der Stadt, auch wegen der Nähe zu Westberlin«, sagte Boehlke. ImRest der kleinen Republik seien die Punks »etwas netter« gewesen.
Nett in Berlin war die Kirche zu den Punkern. Im Archiv findensich Fotos der berühmten Blues-Messen, die Pfarrer Rainer Eppelmannabhielt und die bald zu wilden Punkpartys ausarteten.
Wie die Musik von damals noch heute funktioniert, erfuhr»Pankow«, Jahrgang 1964, jüngst von seiner Tochter. Die 24-Jährigehörte Songs von Planlos, ohne über die Vergangenheit des VatersBescheid zu wissen. »Sie war absolut begeistert«, sagt Boehlke.»Dann habe ich ihr erzählt, wer da singt.«