Christoph Schlingensief mischt wieder mit
Berlin/dpa. - Christoph Schlingensief wohnt als Jury-Mitglied der diesjährigen Berlinale in einem Nobelhotel an jenem Potsdamer Platz, in dessen Baugruben er 1996 mit den «120 Tagen von Bottrop» den «letzten neuen deutschen Film» drehte, wie der Untertitel dazu heißt.
Als ein schräges Remake von Pasolinis «Die 120 Tage von Sodom» sollte es auch ein ebenso ironischer Abgesang auf die letzten Überlebenden der Fassbinder-Generation und der «jungen Wilden» des Neuen Deutschen Films sein. In den Sand- und Wasserwüsten des Potsdamer Platzes ließ Schlingensief Darsteller wie Udo Kier, Helmut Berger, Martin Wuttke, Margit Carstensen und Irm Hermann «herumturnen».
Später widmete sich der heute 48-jährige Schlingensief mehr dem Theater bis zum vorläufigen Höhepunkt seiner spektakulären «Parsifal»-Inszenierung bei den Bayreuther Festspielen 2004 und einer «Holländer»-Inszenierung in der brasilianischen Urwaldmetropole Manaus. Auch wenn er zurzeit seine nächste Theaterarbeit an der Wiener Burg vorbereitet («Mea culpa»), will er sich wieder mehr dem Film widmen. «Da komme ich her, das sind meine Wurzeln», sagte Schlingensief in einem dpa-Gespräch auf der Berlinale. «Es ist die Lust, eine Geschichte zu erzählen, natürlich in der Art wie ich es kann. Ich bin nicht der ideale Regisseur für geradlinige Geschichten.»
Genau damit machte Schlingensief, der auch die Hofer Filmtage als ein «ganz wichtiges Forum für den deutschen und unabhängigen Film» bezeichnet, auch auf der Berlinale vor über 20 Jahren schon seine eigenen Erfahrungen. Zum Beispiel als er 1986 im Internationalen Forum des Jungen Films im Delphi-Palast am Zoo seinen Film «Menu total» mit Helge Schneider vorstellte. Die Aufführung endete im Eklat, wie sich Schlingensief erinnert. «Von anfangs 800 Zuschauern blieben noch 400 bis zum Schluss, und die gerieten sich über den vermeintlichen Trashfilm, wie manche meinten («inzwischen gilt der Film als Kunstwerk») furchtbar in die Haare, bis hin zu Handgreiflichkeiten.»
Helge Schneider, der damals noch nicht bekannt war, spielte einen kleinen Jungen, «der Hitler etwas nacheifert, die Familie umbringt und am Ende stehen alle wieder auf - da war schon meine Erlösungsthematik.» Am Rande der jetzigen Berlinale wird er noch einmal in einem City-Kino gezeigt.
Auch mit seinen anderen Filmen wie «100 Jahre Adolf Hitler - Die letzte Stunde im Führerbunker» von 1989, «Terror 2000» oder «United Trash» sorgte Schlingensief für Aufsehen und Irritationen. Auf seiner DVD-Filmsammlung («Schlingensief und seine Filme», Filmgalerie 451) erinnert er sich noch an andere «Schlachten» auf der Berlinale, wenn zum Beispiel «Lesbengruppen mit Trillerpfeifen» seine Vorstellungen störten oder andere meinten, «ich wäre schwul und könnte es nicht zugeben - plötzlich waren ich und der Film für alles zuständig».
Einen besonders wunden Punkt traf er ausgerechnet im Jahr der deutschen Einheit 1990 mit «Das deutsche Kettensägenmassaker», in der die Wiedervereinigung als «deutsches Schlachtfest» sarkastisch aufs Korn genommen wird. «Es war meine Reaktion auf den Mauerfall beziehungsweise die grotesken Bilder davon. Ich sah eine große Heuchelmaschine - Westdeutsche fangen Ostdeutsche ein und machen Wurst aus ihnen, sie kamen als Freunde und wurden zu Wurst.»
Der Potsdamer Platz aber am einstigen Todesstreifen zwischen Ost- und West-Berlin erwachte zu neuem Leben und ist jetzt auch das Herz der Berlinale. Die diesjährige Jury-Präsidentin ist Tilda Swinton, mit der Schlingensief 1986 auch den Film «Egomania» drehte und mit der ihn zeitweise auch mehr als nur die Arbeit verband. «Tilda habe ich immer auch als eine hochgradig politische Person erlebt, die sehr aktiv ist. Es ist toll, dass sie auch weiterhin internationale Filme macht.»
Schlingensief will jedenfalls im deutschen Film wieder mitmischen. Vor einem Jahr lag er während der Berlinale nach einer Krebsoperation im Krankenhaus. «Es ist toll, dass ich wieder mitmachen kann und auch soviel Zuneigung spüre. Das tut mir gut, die Berlinale beflügelt mich geradezu. Meine Filme haben mir ja auch während meiner Krankheit gezeigt, "Junge, du hast was gemacht, Alter, das kannst du dir jetzt noch angucken." Das wird von mir bleiben.»