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Christoph Hein wird 75 Christoph Hein wird 75: Ein freier Mann

Von Christian Eger 08.04.2019, 08:00
Christoph Hein in seinem Haus in Havelberg
Christoph Hein in seinem Haus in Havelberg Markus Wächter/Berliner Zeitung

Halle (Saale) - Der Friedrichstadt-Palast könnte auch Christoph-Hein-Palast heißen. Denn es war der Schriftsteller, der das 1984 neu errichtete Ostberliner Revue-Theater vor der Schließung bewahrte. Als randständiger Kulturfachmann gehörte Hein Anfang der 1990er Jahre zu einem fast durchweg mit westdeutschen Honoratioren besetzten Ausschuss, der mit Bonner Regierungsautorität über das Sein oder Nichtsein ostdeutscher Kultureinrichtungen entscheiden sollte.

Schon Monate vorher war der Friedrichstadtpalast öffentlich schrottreif geschrieben worden. Vom „Frohsinnskombinat mit volkseigenen Entkleidungstänzern“ war zu lesen. Die sofortige Schließung des Hauses, das ganz oben auf der Streichliste stand, schien unabwendbar.

Im letzten Krieg

Hier sprang Hein ein. Der Schriftsteller, der selbst nur einmal den Palast betreten hatte, um den Jazztrompeter Louis Armstrong zu erleben, hob zu einer Rede an. Er erinnerte daran, dass New York und Paris einst ebenfalls große Ballette besaßen. Er referierte die Geschichte und Wirkung des Hauses. Die Herren des Kulturausschusses, denen die Gegenstände, über die sie zu entscheiden hatten, völlig fremd waren, folgten, nickten und erteilten dem Palast schließlich den Segen. Und Hein ging mit der Erkenntnis nach Hause, „dass in derartigen politisch und sozial brisanten Gremien nicht der Sachverstand zählt und gefragt ist, vielmehr ist die Position entscheidend, die der Redner im Staat und in der Gesellschaft einnimmt.“

Ein zeithistorisches Ereignis, von dem die Öffentlichkeit  nichts wüsste ohne Christoph Hein. In seinem kürzlich veröffentlichten Prosaband „Gegenlauschangriff“ erzählt er davon, einer Sammlung von „Anekdoten aus dem letzten deutsch-deutschen Kriege“ (die MZ berichtete). Auf Heins Frage, wann denn der letzte innerdeutsche Krieg stattgefunden habe, hatte ihm sein Freund, der Berliner Publizist Friedrich Dieckmann, geantwortet: „Ich weiß nur, der letzte begann 1990.“ Hein gefiel das.

Ein Buch, das sich der Autor selbst zum heutigen 75. Geburtstag gemacht hat. Es lässt sich als die Miniatur-Fassung einer Autobiografie lesen, die der 1944 in Oberschlesien geborene und in Bad Düben als Pfarrerssohn aufgewachsene Hein von sich selbst wohl nie schreiben wird.

Die in anregender Schärfe-Unschärfe-Relation verfassten Notate reichen von der Zeit der deutschen Teilung bis in die Gegenwart. Man hat in diesem kleinen Werk den Schriftsteller Hein ganz: in seiner politischen Rundum-Interessiertheit, in seinem gesellschaftlichen Erfahrungshunger, in seiner steten Ansprechbarkeit für herrschaftliche Missstände und nicht zuletzt in seiner artistischen Spielfreude.

Es wurden dieser Tage auch fehlerhafte Details kritisiert, die Hein bedauert und korrigiert hat. Wobei anzumerken wäre: Dass dieser Autor - bei aller Pflege des Werbebildes vom „Chronisten“ - als Erzähler vor allem ein Künstler und kein wissenschaftlicher Archivar ist, sollte bei allem heiligen Ernst nicht vergessen werden. Und nicht, dass eine Anekdote ein belletristische Billett und kein Lexikoneintrag ist.

Ein Autor, der bleibt

Was nichts daran ändert, dass Heins Gegenwartsbefunde seit den 1980er Jahren - unvergessen seine Rede gegen die Zensur von 1987! - die Durchschlagkraft von wissenschaftlichen oder politisch sanktionierten Befunden entfalten können. Dabei steht für den Erzähler Hein fest: Figurendetails sind verhandelbar, der jeweilige historische Rahmen nicht.

Heute ist Christoph Hein, was er nie sein wollte: der repräsentativste nichtrepräsentative Autor, der seinen Wohnsitz im Osten hat - seit einigen Jahren neben Berlin im sachsen-anhaltischen Havelberg. Nichtrepräsentativ, weil sich Hein von früh an im DDR-System als Außenseiter durchschlug. Und weil er nicht irgendeiner SED-dissidentischen Loyalitätslinie zuzurechnen ist; nie gehörte er der Partei an. Hein war und ist ein freier Mann.

Und ein weltweit gelesener Autor. Seine Novelle „Der fremde Freund“ (1982) gehört zu den Büchern aus der DDR, die bleiben werden. Mit seiner Deutschland-Trilogie „Glückskind mit Vater“, „Trutz“ und „Verwirrnis“ errang Hein zuletzt im Osten die Weihen eines Volksschriftstellers. Eines Erzählers, der immer aufstört, überrascht und unterhält. Und noch immer ist Christoph Hein in seinen Themen schneller als die herrschende Politik. (mz)