Christoph Hein Christoph Hein: «Poetischer Chronist der DDR»

Berlin/dpa. - An diesem Mittwoch (8. April) feiert der ausSchlesien stammende Pfarrerssohn, später in West-Berlin zur Schulegegangene, nach dem Mauerbau 1961 in der DDR und seit dem Mauerfallim vereinten Berlin lebende Roman- und Bühnenautor («Die Ritter derTafelrunde») seinen 65. Geburtstag.
Der eher unscheinbare, schmächtige und schüchterne Mann mitSchnauzbart war schon früh ein gefragter Dichter in beiden deutschenStaaten mit «Kraft und Mut und Rückgrat», wie ihm derLiteraturkritiker Marcel Reich-Ranicki einmal bescheinigte, auch wennHein nicht immer dieselbe öffentliche Aufmerksamkeit genießen konntewie seine Kollegen Christa Wolf, Stefan Heym und Heiner Müller.
Aus Heins Romanen «Horns Ende» und «Der Tangospieler» werden nachAnsicht des Kritikers «künftige Generationen sehen, wie man dortgelebt, gelitten, gelogen hat, und warum das nicht eine Substanzhatte, die sich dem Untergang hätte widersetzen können». DerDurchbruch auch im Westen Deutschlands gelang dem regimekritischenDDR-Schriftsteller Anfang der 80er Jahre mit der Novelle«Drachenblut» («Der fremde Freund»).
«Es ist ein Buch über ein modernes Lebensgefühl», sagte Heineinmal über seine Novelle (Suhrkamp). «Es geht um Fremdheit, Kälte,Isolation. Lediglich in der Tatsache, dass es in einemsozialistischen Land eben nicht anders, humaner zugeht, mag man einespezifische Provokation gesehen haben.» Die Sätze der Ich-Erzählerin,Ärztin in einem Ost-Berliner Krankenhaus, kinderlos, geschieden,gehen den Lesern unter die Haut: «Ich bin auf alles eingerichtet, ichbin gegen alles gewappnet, mich wird nichts mehr verletzen...Ich habein Drachenblut gebadet, und kein Lindenblatt ließ mich irgendwoschutzlos. Aus dieser Haut komme ich nicht mehr heraus. In meinerunverletzbaren Hülle werde ich krepieren...»
Zu seinen späteren und nach dem Ende der DDR erschienenen Bücherngehören «Landnahme», «Das Napoleon-Spiel», «Randow», «In seinerfrühen Kindheit ein Garten», «Willenbrock» und zuletzt 2007 der Roman«Frau Paula Trousseau». In den 70er Jahren arbeitete Hein bei BennoBesson an der Ost-Berliner Volksbühne. 1983 erschein sein vielleichtberühmtestes und am Deutschen Theater in Ost-Berlin uraufgeführtesStück «Die wahre Geschichte des Ah Q». 2004 sollte Hein an diesemTheater sogar Intendant werden, gab aber nach heftigen Kritiken gegendiese Berufung entnervt wieder auf.
In der DDR avancierte Hein bald vom «literarischen Geheimtipp» zumfrühen Seismograph ihres Untergangs, den er schließlich kurz vor demFall der Mauer 1989 in seinem noch in Dresden uraufgeführtenTheaterstück «Die Ritter der Tafelrunde» dramatisch-parabelhaft andie Wand malte. König Artus erkennt den «notwendigen Wandel» und sagtzu seinem Sohn: «Du wirst viel zerstören», und erhält als letztesWort des Stückes die Antwort: «Ja, Vater.»
Der Mann, der hier den Untergang beschreibt, hat an ihm auchöffentlich teilgenommen zum Beispiel in seiner Rede am 4. November1989 auf der legendären ersten freien Massenkundgebung auf dem Ost-Berliner Alexanderplatz, in der er Leipzig als Ort derMontagsdemonstrationen, die ein entscheidender Nagel im Sarg der DDRwerden sollten, als «Heldenstadt» ausrief. Und schon zwei Jahre zuvorhatte er im November 1987 auf dem Schriftstellerkongress der DDRoffen und mutig die sogenannte «Druckgenehmigungspraxis» der SED undder DDR-Verlage als Zensur angeprangert. Sie sei «nutzlos, paradox,menschenfeindlich, volksfeindlich, ungesetzlich und strafbar».
Dass so ein Mann im Herbst 1998 nach langen Querelen in Dresden(!) zum ersten gesamtdeutschen PEN-Präsidenten gewählt wurde, istdaher kein Wunder. Hein hat immer «System-Defekte» in Ost und Westwie Ängste, Selbstbetrug, Verrat, Verdrängung, Machtmissbrauch oderAnpassung schonungslos beschrieben - und daraus Literatur gemacht,die Bestand haben wird.