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Chris Anderson: Geschäftsmodell «Gratis»

Von Laszlo Trankovits 28.09.2009, 08:25

Washington/dpa. - Wenn man den Amerikaner Chris Anderson falsch versteht, könnte man meinen, künftig sei alles umsonst. So vermessen ist der radikale Verfechter des «Gratis»-Geschäftsmodells nun doch nicht.

Aber er ist davon überzeugt, dass die jüngsten Entwicklungen in der Internet- oder der Spiele- und Musikbranche nur Vorboten sind für viele andere Industriezweige.

In seinem neuen Buch «Free» sagt Anderson die Fortsetzung des tiefgreifenden Strukturwandels in der globalisierten Wirtschaft voraus, angetrieben von den Gesetzmäßigkeiten des Internets, der weltweiten Vernetzung und Digitalisierung. Schon jetzt zeige sich, dass es in vielen Bereichen - wie der Popmusik oder den Medien - nur sehr schwer möglich sei, sich gegen die Kostenlos-Mentalität der Webwelt zu wehren.

Die Unternehmen seien gezwungen, neue Geschäftsmodelle auszuprobieren, um auf ihre Kosten zu kommen. Anderson beschreibt eine Reihe von - zum Teil schon bewährten - Methoden, wie in Zukunft auf Umwegen Profit erwirtschaftet werden kann. Dazu zählen in erster Linie Werbung und Verlinkung (was Google zu einem milliardenschweren Mega-Unternehmen gemacht hat), Auktions- und Merchandisingmodelle sowie ein Mix aus sehr viel kostenlosen und einigen wenigen kostenpflichtigen Produkten.

Diesem «Freemium»-Modell, einer Mischung aus «Free» und «Premium» gehört aus Sicht Andersons die Zukunft. Beispielhaft setze dies das «Wall Street Journal» um, das sein Angebot teilweise umsonst ins Web stelle, für den Rest aber saftige Gebühren kassiere. Leider sei das Konzept für Medien mit weniger hochwertigem Premium-Angebot als das der konservativen Qualitäts-Zeitung aus New York keine Option.

Anderson ist schon seit seinem ersten aufsehenerregenden Buch «The Long Tail» den Konsequenzen moderner Technologie für die Wirtschaft auf der Spur. Tatsächlich wird seit Jahrhunderten dank Industrialisierung und Massenproduktion so gut wie alles immer billiger. Der Trend wurde noch einmal angeheizt durch das Aufkommen der Computerindustrie und des Internets. Heute werden immer mehr Waren zu immer geringeren Kosten hergestellt. Der Chefredakteur der US-Technologiezeitschrift «Wired» schildert überzeugend, wie schon jetzt in der Web-Industrie die Grenzkosten gegen Null tendieren.

Diese Ausgaben beschreiben, was es kostet, eine zusätzliche Einheit eines Produkts herzustellen: Der Aufwand beispielsweise für die Herstellung einer Software, eines Popsongs oder eines Buches bleibt gleich, ob diese Produkte nun im Internet zehn Mal oder zehn Millionen Mal abgerufen werden. Da die Konsumenten immer stärker daran gewöhnt seien, alles gratis zu bekommen, bliebe vielen Branchen nichts anderes übrig, als mit Kreativität und Cleverness zu reagieren, so Anderson.

Schon seit längerem machten Unternehmen wie Rasierklingenhersteller oder Mobilfunkanbieter gute Profite mit dem «Verschenken» ihrer Produkte, wie Rasiergeräte oder Handys. Gewinne realisieren sich über den Verkauf der benötigten Rasierklingen oder den Telefongebühren. Anderson meint, dass solche Marketingmodelle dank des Internets für manche Branchen zur Regel werden. In der digitalisierten Welt sei es immer schwieriger, geistiges Eigentum wie Software, Musik, Filme oder Medieninhalte, aber auch Patente, zu schützen. Deshalb werden neue Business-Konzepte gebraucht.

Anderson glaubt, dass es sich auch für Musiker und Autoren rechnen werde, ihre Werke kostenlos ins Netz zu stellen. Sie erhielten Aufmerksamkeit und Anerkennung, was sich in Erlösen auszahlen würde, beispielsweise bei Konzerten oder beim Verkauf von gedruckten Büchern. Als Beispiele werden die Rockband Radiohead genannt, die ihr Album als kostenlosen Download anbot oder aber der Schriftsteller Paulo Coelho, der seinen Roman ins Web stellte. Ob solche Perspektiven auch weniger bekannte Musiker und Autoren haben, scheint fraglich.

Trotz der überzeugenden Darstellung wirtschaftlicher Trends stoßen Andersons Thesen in den USA auch auf viel Skepsis. Zum einen bedroht die Kostenlos-Kultur die Existenz ganzer Branchen, wie die der Zeitungen, Buchverlage und Plattenfirmen. Zum anderen scheinen Zweifel angebracht, ob das traditionelle Wirtschaftskonzept - bei dem sich Kosten und Gewinn im Preis einer Ware spiegeln - tatsächlich vor dem Ende steht. Selbst Unternehmen wie das Videoportal YouTube, das Anderson als Vorbild nennt, beschert seinem Besitzer Google nach wie vor milliardenschwere Verluste. Nun hat Google einen neuen Vermarktungs-Plan angekündigt. Er wird ein Prüfstein für Andersons kühne Thesen sein.

(Internet: www.wired.com - auf der Website von «Wired» gibt es einen kostenlosen Download von «Free» als Hörbuch und den Text als Scribd-Ausgabe - auf Englisch)

Chris Anderson:

Free - Geschäftsmodelle für die Herausforderungen des Internets

Campus Verlag, Frankfurt am Main

304 Seiten, Euro 39,90

ISBN 978-3-593-39088-8