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Centraltheater Leipzig Centraltheater Leipzig: Das Ende eines Neuanfangs

Von Maria Böhme 07.03.2013, 18:14
2010 brachte Sebastian Hartmann Thomas Manns Koloss „Der Zauberberg“ auf die Bühne.
2010 brachte Sebastian Hartmann Thomas Manns Koloss „Der Zauberberg“ auf die Bühne. David Baltzer/bildbuehne.de Lizenz

Leipzig/MZ - Er kam, sah und torpedierte. Fast nichts sollte bleiben, wie es vorher war. Als Sebastian Hartmann 2008 die Intendanz des Leipziger Schauspiels übernahm, standen alle Zeichen auf Umbruch. Auf Wunsch des Leipziger Kulturbürgermeisters Georg Girardet (FDP) war der gebürtige Leipziger 2007 vom Stadtrat zum neuen Intendanten des Schauspielhauses gewählt worden.

Schon lange vor dem Amtsantritt des Schauspielers und Regisseurs hatten den konservativen Theatergängern und Wolfgang-Engel-Anhängern, den Fans von Hartmanns Vorgänger, die Knien geschlottert. Denn dem neuen Chef war der Ruf eines Radikalen vorausgeeilt. Viele Andere hatten auf einen Neuanfang gehofft. Auf das Ende der Behäbigkeit, die das Theater zuletzt ausgestrahlt hatte, und vor allem auf ein endlich wieder volles Haus. Denn das hatte der lange Zeit erfolgreiche Engel zuletzt leergespielt. Es sollte einer der radikalsten Theaterstarts 2008 werden.

Mehr als 14 Premieren und ein großes Rahmenprogramm: Noch bis zum 23. Juni verabschiedet sich Sebastian Hartmann mit den Leipziger Festspielen. Gespielt, gesungen und getanzt wird vor allem in der Festspielarena im eigens dafür umgebauten großen Saal des Centraltheaters. Die Inszenierungen entstehen in schneller Folge und nach der Premiere sind die Produktionen nur wenige Male zu sehen.

Das Festwochen-Programm: www.centraltheater-leipzig.de

Als erstes gibt der Schüler von Frank Castorf, an dessen Berliner Volksbühne er arbeitete, dem Kind einen neuen Namen: Er benennt das Schauspiel Leipzig in „Centraltheater“ um. Den Namen, den es in den 20er Jahren bereits trug und mit dem viele Leipziger lange fremdelten. Ein prägnanter, geschichtsträchtiger Titel, der das Vorhaben Hartmanns auf den Punkt bringt: das Theater wieder ins Zentrum der Stadt und des kulturellen Lebens Leipzigs zu rücken. Ein Ort, der wie die kleine Spielstätte, die er „Skala“ tauft, mehr sein soll als das Zuhause von Schiller und Shakespeare, an dem getanzt, gefeiert und viel nachgedacht werden soll. Schnell ist klar, dass mit Hartmann auch die sogenannte Populärkultur in die Räume in der Bosestraße einzieht. Mit ambitionierten Konzertreihen, die viele angesagte Indie- und Electrocombos nach Leipzig bringt, dem Format „Der Centrale Film“ und Rainald Grebe. Der Liedermacher und Kabarettist avanciert mit seinen Leipziger Inszenierungen wie der „Klimarevue“ zum Publikumsliebling. Auch Veranstaltungen von und mit dem Leipziger Kultautor Clemens Meyer („Als wir träumten“) oder Inszenierungen mit Gastauftritten von Schauspiel-Stars wie Heike Makatsch boomen.

Hartmanns erste Inszenierung, die „Matthäuspassion“ nach Ingmar Bergman, Henrik Ibsen und dem Evangelisten Matthäus, legt die Spur für seine weiteren bis zum Ende umstrittenen Arbeiten, die zu einem Muss für viele Kritiker werden: Brachial, blitzgescheit, oft aber auch nervtötend. Meist aber: bildgewaltig.

Doch der große Ansturm auf die Theaterproduktionen bleibt zunächst aus. Dafür: Enttäuschte Abonnenten, die Türen schlagend die Premieren verlassen und ihrem Unmut auch in Form von Protestbriefen an Tagespresse und Stadtrat Luft machen. Nach nur drei Monaten wird die erste Zuschauerkonferenz im großen Haus einberufen, in der Fans, Gegner und Theatermacher sich Wortgefechte zum Konzept des Hauses liefern. Am Ende gibt es das Versprechen, ein paar Stadttheater-Gepflogenheiten, die dem Theaterexperiment zum Opfer gefallen waren, wieder einzuführen. Programmhefte und Publikumsgespräche werden wieder angeboten.

Trotzdem knirscht es ordentlich im Gebälk. Sehr erfrischend ist er, dieser Theaterdonner. Denn auf einmal wird wieder heiß diskutiert in den Bars und Cafés. Über das Theater, die Kunst, die Stadt. Langsam steigen in den folgenden Jahren die Besucherzahlen und der Zuspruch der Leipziger, was aber meist weniger mit Hartmanns Regiearbeiten und der seiner Kollegen, die immer von Hartmanns Stil geprägt sind, zu tun hat. Die Breite des Programms, die vielen Uraufführungen und das anspruchsvolle Kinder- und Jugendprojekt, das Spinnwerk, sorgen für ein Aufblühen der Leipziger Theaterszene.

2011 wird bekannt, dass der Intendant seinen bis 2013 laufenden Vertrag wegen der angespannten Haushaltslage und unsicheren Perspektive nicht verlängern werde. Der Hintergrund für den Streit bildet die Auseinandersetzung mit dem neuen Kulturbürgermeister Michael Faber (parteilos), der sich wieder konventionelle Inszenierungen gewünscht und mit Kürzungen gedroht haben soll. In einem MDR-Interview sagt Hartmann zu seiner Entscheidung: „Ich finde es ermüdend, dass das Centraltheater ununterbrochen mit der Person Sebastian Hartmann in Verbindung gebracht wird. (...) Leipzig hat die Potenz einer Großstadt, aber die Denke irritiert mich, dieses Festhalten an einer Norm, das oft sehr betoniert wirkt und oft das Kleinbürgerliche schrammt.“

Leipzig ist eben nicht Berlin, das musste er lernen. Und doch endet mit der Ära Hartmann ein gewagtes Experiment, dass nicht gänzlich gescheitert ist. Er schaffte es, das Theater zu öffnen: für verschiedene Künste, ungewöhnliche Formate und Altersgruppen. Leider nicht für verschiedene Handschriften. Sein poetischer, dekonstruktiver Stil, seine Art, Fragen zu Individuum, Gesellschaft, Zeit und Raum zu stellen, gaben den Stil des ganzen Hauses vor.

Neben dieser Art Überwältigungstheater wären noch andere künstlerische Ansätze vonnöten gewesen. Ein Neben-, kein Gegeneinander von Formen hätte Leipzig gut getan. Bleibt nur zu hoffen, dass der „Neue“, Enrico Lübbe, nicht einfach alles abschafft. Stattdessen sollte der Chemnitzer Schauspieldirektor und Ex-Hausregisseur des Neuen Theaters Halle einiges ergänzen.

„Leipzig hat die Potenz einer Großstadt, aber die Denke irritiert mich.“ Sebastian Hartmann, Intendant des Centraltheaters
„Leipzig hat die Potenz einer Großstadt, aber die Denke irritiert mich.“ Sebastian Hartmann, Intendant des Centraltheaters
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