Catherine Millet leidet unter «Eifersucht»
München/dpa. - Sexuelle Freizügigkeit schützt nicht vor Eifersucht. Diese Erkenntnis trifft die französische Kunsthistorikerin, Journalistin und Autorin Catherine Millet wie ein Schlag - mit all seinen gesundheitsschädigenden Folgen.
Sieben Jahre nach ihrem Skandalerfolg «Das sexuelle Leben der Catherine M.» legt sie nach und verarbeitet ihre verletzten Gefühle, ihren seelischen Zusammenbruch und ihr Unvermögen, ihrem Mann das zuzugestehen, was sie selbst jahrelang praktiziert hat. Mit entwaffnender Ehrlichkeit macht sie sich in ihrem neuen Roman «Eifersucht» an eine schonungslose Selbstanalyse, die etwas von Kasteiung an sich hat - mit reinigender und heilender Wirkung.
Bei aller Offenheit und dem reichlichen Gebrauch von Intimbildern - «Eifersucht» ist alles andere als ein erotischer Roman und schon gar keiner, der sich unter die derzeit scheinbar im Trend liegenden und sich an Fäkalsprache ergötzenden literarischen Machwerke einreihen lässt. Dazu ist Millets Thematik viel zu tiefsinnig, ihr Blick von außen in sich selbst viel zu intellektuell. Und sie beschert eine hier klar ausgesprochene Erkenntnis, die sich in der Regel wohl selten ein Leidender eingesteht: Schmerz verursacht Lust: «Was ich unterschwellig als angenehm empfinde, ist eher (...), die Wirkung dieses Verlusts wieder aufleben zu lassen.»
Man muss den Vorgänger «Das sexuelle Leben der Catherine M.» nicht gelesen haben, um «Eifersucht» verstehen zu können. Millet bezieht sich oft genug auf ihre jahrzehntelang praktizierte und für sie selbstverständliche sexuelle Freiheit. Deswegen ist sie ja so schockiert, als sie auf dem Schreibtisch ihres Mannes das Foto einer jungen nackten schwangeren Frau findet - wohlgemerkt: schockiert über sich. Darüber, wie sie reagiert. Nur schwer lässt sie sich auf die Erkenntnis ein, dass sie eifersüchtig ist. Sie, die sich doch stets das Privileg vorbehalten hat, trotz ihrer soliden Gemeinschaft mit Jacques alle amourösen Bedürfnisse auszuleben - mit Bekannten und Unbekannten, auf Sexpartys oder anderswo. Und darüber auch zu sprechen.
Nun, wo sie dahinter gekommen ist, dass auch Jacques - allerdings im Verschwiegenen - sich hie und da anderweitig vergnügt, will sie mehr wissen und steigert sich bis zur Obsession darein, mehr zu erfahren. Sie liest Jacques Tagebücher, spinnt sich aus mitgehörten Telefonfetzen ihres Mannes, aus Erinnerungen früherer Begegnungen und Begebenheiten Phantasmen zusammen, wie ihr Mann sie betrügt. Sie konfrontiert Jacques mit ihrem Wissen und fordert gleichzeitig mehr Informationen - zunächst mit gespielter Toleranz, ja Gleichgültigkeit.
Dieser Wahn macht krank. Der Konflikt zwischen dem Wunsch, durch Wahrheit zu leiden (Lust), der ungezügelten Fantasie und der Sehnsucht nach einem monogamen Partner ist so nicht lösbar. «Ausgerechnet von ihm, den ich zum Vollstrecker meiner unerträglichen und genüsslichen Qual gemacht hatte, erwartete ich die Erlösung», schreibt sie. Und so gerät die einstmals scheinbar felsenfeste Beziehung über Jahre in eine Krise, an deren Ende nicht nur die Erkenntnis Liebe steht, sondern ein Reinigungsprozess der besonderen Art.
Vielleicht mutet die eingangs erwähnte Sentenz naiv an. Denn die Jüngerin einer Simone de Beauvoir oder einer Françoise Sagan, die sexuelle Freizügigkeit für sich in Anspruch nimmt, Gleiches ihrem Partner aber nicht zugestehen kann, ist eine hochintelligente fantasiebegabte Frau. Und doch ist es so. Millet, die in einem ihrer Sachbücher mit kühner Klarheit den Surrealismus Salvador Dalís interpretiert, kommt nun mit ihrer eigenen und mitunter durchaus surrealen Welt nicht mehr klar. Ihr Roman ist viel mehr als eine Liebesgeschichte, sondern eher ein aus der Schlüssellochperspektive geschaffenes eigenes Persönlichkeitsbild und ein bemerkenswertes Stück psychologischer Diagnostik in der Literatur.
Catherine Millet
Eifersucht
Hanser Verlag München
220 Seiten, Euro 21,50
ISBN 978-3-446-23398-0