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Carsten Ottes unterhaltsame Auto-Biografie

Von Frauke Kaberka 29.06.2009, 11:08

München/dpa. - Die Tante war schuld. Wahrscheinlich. Mit ihrem Geschenk, einem «Töfftöff», wie sie das Spielzeugauto anpries, erweckte sie vor Jahren bei dem Jungen Carsten Otte eine frühkindliche Aversion gegen den mobilen Untersatz. Aber was heißt Schuld?

Der inzwischen erfolgreiche Schriftsteller («Schweineöde», «Sanfte Illusionen») fühlt sich verdammt gut ohne Führerschein. Und meint, dass das Auto - in seinen jetzigen Ausführungen - in naher Zukunft ausgedient haben wird.

In seinem Sachbuch «Goodbye Auto. Ein Leben ohne Führerschein» tritt Otte den Beweis an. Na ja, vielleicht wird er nicht jedermann überzeugen können - aber unterhalten allemal. Denn seine Auto- Biografie (im doppelten Sinne) ist eine Sammlung voller Anekdoten, Erfahrungen und Skurrilitäten - und natürlich sachkundigen Belegen. Eine seltsame Mischung, die sich trotz einiger Längen wegliest wie ein spannender Krimi, bei dem auch viel gelacht werden darf.

Möglich aber auch, dass Tantchen gar keine Schuld an der führerscheinlosen Existenz des Autors trägt, denn trotz «Töfftöff» schwärmte er später für Ferrari und versuchte, am Steuer eines Cabrios einer Frau zu imponieren - was irgendwie schief lief. Und so sind es wohl mehr rationale Erfahrungen und Überlegungen, die Otte zu dieser Minderheit gehören lassen. Eine Spezies, die sich seiner Meinung nach in absehbarer Zeit stetig vermehren wird. Denn trotz aktueller staatlicher Unterstützung für die Automobilindustrie werden Rohstoffmangel, Umweltverschmutzung und andere Faktoren ein Umdenken in der Branche nicht aufhalten können.

Es ist ja nicht so, dass der Autor und Journalist aus Baden- Baden das Auto grundsätzlich ablehnt. Er, der jahrelang als Anhalter oder Kunde der Mitfahrerzentrale - lieber allerdings noch mit dem Zug - durch Deutschland und die Welt reiste, weiß das vor rund einhundert Jahren erfundene Vehikel durchaus zu schätzen. Und gute Geschichten von Taxifahrern sind eine Inspiration für ihn - vor allem, wenn sie sich als Installateur von Toiletten outen und auch noch tatkräftig zupacken. Doch zu große und zu viele Fahrzeuge, spritfressende Dreckschleudern und unbelehrbare Fahrzeughalter - sind ihm ein Dorn im Auge, wie er in einigen Kapiteln beschreibt. Und das - wie gewohnt - in herrlich sarkastischem Ton.

Was das Buch so lesenswert macht, sind die vielen Episoden rund ums Auto, die alle möglichen und unmöglichen Bereiche des Lebens tangieren: ein idiotischer Idiotentest zum Beispiel oder ein Adorno lesender Polizist, der den betrunkenen Radfahrer Carsten Otte den ersten Satz der «Negativen Dialektik» zitieren lässt. Völlig absurd, aber wahr, solche autoindustrieellen «Innovationen» wie Schlammspray, damit ein frisch gewaschener Geländewagen nicht so geleckt, sondern zünftig aussieht. Im Gegensatz dazu nimmt er Autowaschzeremonien und andere Macken so mancher Spießer aufs Korn.

Bei allem Unterhaltungswert aber macht das Buch auch nachdenklich. Denn Otte hat gut recherchiert und würzt seine Kapitel mit knallharten Fakten: über Verkehrstote, über Gewinne, Gewinner und Verlierer, über Umwelt- und andere Schäden, über ernsthafte oder ausgeklammerte Vergangenheitsbewältigung mancher Autokonzerne und auch über die Grenzen der Autoindustrie weltweit. Ist Otte deshalb ein Fantast? Ganz sicher nicht. Nur einer, der sich Gedanken macht über das Phänomen Auto und seinen Einfluss auf Leben und Umwelt.

Carsten Otte

Goodbye Auto. Ein Leben ohne Führerschein

Goldmann Verlag München

352 S., Euro: 8,95

ISBN 978-3-442-15556-9