Carl Bechstein gründete Firma mit Weltruf Carl Bechstein gründete eine Klavierfabrik die bis heute einen exzellenten Ruf hat. Doch die Familiengeschichte kennt auch ein schwarzes Schaf.

Halle (Saale) - 1853 gilt als das Wunderjahr des Klavierbaus: Steinway in New York, Blüthner in Leipzig und Bechstein in Berlin – alle drei Instrumentenbauer gründeten in besagtem Jahr ihre Unternehmen. Marken mithin, die bis auf den heutigen Tag Weltruhm genießen und allesamt ihren Ursprung in Deutschland haben, da Mister Steinway eigentlich Steinweg hieß und aus dem Harz stammte.
Wer die besten Klaviere baut, darüber lässt sich, wie über Geschmack, nicht wirklich streiten. Es ist letztlich eine Glaubensfrage. Franz Liszt, Hans von Bülow, Richard Wagner und Freddie Mercury waren jedoch Künstler, die in den vergangenen 150 Jahren auf Instrumenten von Bechstein spielten.
Auch der russische Schriftsteller Boris Pasternak, Verfasser des Romans „Doktor Schiwago“, und die britische Queen Victoria favorisierten Bechstein-Flügel. Letztere erwarb ein Kunstwerk in Weiß und Gold. „Die Königin war von dem Instrument derart inspiriert, dass sie seine freien Flächen eigenhändig mit Miniaturen bemalte“, schreibt Gunna Wendt in ihrem Buch über die Geschichte der Bechsteins.
Die beginnt für die Münchner Autorin mit Carl Bechstein (1826-1900), dem Gründer der Berliner Pianofabrik, der in Gotha geboren wurde und ein entfernter Verwandter jenes Bechstein war, der als Märchensammler zu einiger Berühmtheit gekommen ist: Ludwig Bechstein (1801-1860).
Lehrjahre in London und Paris
Nach einer schwierigen Jugend unter der harten Knute seines Stiefvaters, einem Gothaer Kantor, der die musikalischen Neigungen Carls zwar unterstützte, gleichzeitig aber ein ebenso jähzorniger wie gefühlskalter Mensch war, lernte der junge Bechstein den Klavierbau in Erfurt. Wohlwissend, dass Bildung die Voraussetzung für Unabhängigkeit und Selbstständigkeit war, sog er alles auf, was in dem Beruf, der Kunst und Handwerk so eng zusammenführt, wissen musste. Bechstein komplettierte seine Ausbildung in den 1840er Jahren bei den Piano-Fabriken Pleyel in Dresden und Perau in Berlin.
Solide Firmen, aber keine von europäischer Bedeutung. Die fand Bechstein mit Broadwood in London und Érard in Paris, wo er zwischen 1849 und 1852 tätig war. Drei Lehr- und Wanderjahre, die ihn in dem Vorsatz bestärkten, eine eigene Fabrik gründen zu wollen. So geschehen 1853 in Berlin. Bechsteins erste eigene Entwicklung kam 1856 auf den Markt.
Vier Jahre darauf konnte das junge Unternehmen mit Franz Liszt einen der bedeutendsten Klaviervirtuosen als Kunden gewinnen. Der Ungar wählte einen Bechstein, weil das Instrument zwei Vorzüge vereinte: eine enorme Stabilität bei gleichzeitiger Differenziertheit im Klang. Genau das richtige Arbeitsgerät für einen Tastenberserker wie Liszt, der es an guten Tagen fertig brachte, mit nur einem Konzert einen Flügel zu ruinieren. Im Liszt-Haus Weimar ist eines seiner Klaviere zu sehen.
Der Pianist Hans von Bülow schätzte die Instrumente des Unternehmens ebenfalls so sehr, dass er Carl Bechstein, so Wendt, als „Klavierarchitekten par excellence“ und „Beflügler“ feierte. Der Fabrikant war bodenständig genug, sich von derlei Lobhudeleien nicht einlullen zu lassen. Denn nicht selten war diese Art Überschwänglichkeit mit der Hoffnung verbunden, von Carl Bechstein ein Instrument preiswerter oder gar kostenlos zu bekommen.
Auch Richard Wagner – der zeitlebens ein Meister darin war, über seine Verhältnisse zu leben – baute darauf. So in einem Brief an Bülow vom 12. Mai 1864: „Kannst Du Herrn Bechstein zu einem Berliner Wunder bereden, mir ihn (den Flügel) zu verehren, so soll er dafür geehrt und gepriesen werden, und ich verspreche ihm in Bayern Propaganda.“ Was nichts anderes bedeutet als: Carl Bechstein sollte der Sponsor sein und Wagner dessen Werbeträger.
Was Wagners Verlangen auch verdeutlicht: Bechstein-Klaviere erwarben sich in kürzester Zeit einen weltweit guten Ruf. Das schlug sich in den Verkaufszahlen nieder. Ende des 19. Jahrhunderts lag die Jahresproduktion bei sagenhaften 3.500 Instrumenten. Zwischen 1853 und 1903, also in den ersten fünf Jahrzehnten seines Bestehens, verließen 65.000 Flügel und Klaviere das Unternehmen, das schon 1885 eigenständige Filialen in London und St. Petersburg und 1901 mit „Bechstein Hall“ in der britischen Hauptstadt sogar einen eigenen Konzertsaal eröffnete. An diese beeindruckende Entwicklung konnte im 20. Jahrhundert, auch eingedenk zweier Weltkriege, nicht mehr angeknüpft werden.
Helenes Herz für Hitler
Dennoch ist das einstige, seit 2008 von drei Großaktionären geführte Unternehmen, das mit einer Stiftung auch Breiten- und Talentförderung betreibt, bis heute eine exzellente Klaviermanufaktur. Das bestätigt auch der Pianist Moritz Eggert im Gespräch mit Wendt: „Wenn ich auf einem Bechstein spiele, steht ich in direktem Kontakt mit der großartigen Musiktradition Europas und all den Größen, die auf Bechsteins gespielt haben.“
In der Weimarer Republik machte der Name Bechstein in einer Art von sich reden, die der im Jahr 1900 gestorbene Carl Bechstein nicht geduldet hätte. Edwin (1859-1934), einer von drei Söhnen des Klavierbauers, gehörte seit 1924 zu den Förderern Hitlers, den Edwins Frau Helene (1876-1951) wie einen Sohn liebte und verehrte - und nach Kräften ideell und finanziell unterstützte. Obwohl Edwin Bechstein deshalb auf Drängen der Familie das Unternehmen verlassen musste, blieb der Name Bechstein braun belastet.
Die Zuneigung zu Hitler war so groß, dass Edwin und Helene 1927 ebenfalls ein Haus auf dem Obersalzberg bei Berchtesgaden erwarben, um dem späteren NS-Diktator, dem sie den Weg in die gute Gesellschaft ebnen halfen, ganz nahe sein zu können. (mz)
Gunna Wendt: Die Bechsteins – Eine Familiengeschichte, Aufbau Verlag, 300 S., 24,95 Euro
(mz)