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Campino - Andreas Frege Campino - Andreas Frege: «Wie ein Raubtier im Käfig»

04.05.2012, 16:29

Halle (Saale)/MZ. - "Jeremies ist seit Jahren Hosen-Fan, er hat uns einen Brief geschrieben, in dem er sein Leid klagte, wie sehr er in all den Jahren gelitten habe - als Hosen-Fan bei den Bayern. Grund genug, ihn zu entschädigen." Die Düsseldorfer treten zurzeit in den Wohnzimmern ihrer Fans auf - ohne Gage, nur Kost und Logis müssen übernommen werden, "Magical Mystery Tour" nennen sie das. Anfang Juni folgt der größte anzunehmende Kontrast, wenn sie als Headliner beim Rock am Ring Festival auftreten. Mit dem Wechsel vom ganz kleinen zum ganz großen Rahmen beginnt Deutschlands erfolgreichste Rockband die Tournee, mit der sie ihr nun auch schon 30-jähriges Bestehen feiern.

Das Gespräch führte Martin Scholz.

Campino, Kollegen von Ihnen wie beispielsweise Peter Maffay haben schon mal deutsche Truppen in Afghanistan besucht. Wäre so etwas für die Toten Hosen vorstellbar?

Campino: Wir haben einen Brief mit einer Anfrage aus Afghanistan bekommen. Wir haben abgesagt, das aber nicht an die große Glocke gehängt. Ich fände es unanständig, mit dieser Haltung zu posieren.

Warum?

Campino: Weil die Situation komplex ist. Der Einsatz in Afghanistan geht auf eine politische Entscheidung zurück, die ich nicht teile. Auch wenn die Soldaten vor Ort für diese Entscheidung nichts können, möchte ich in keiner Weise die in meinen Augen sehr fragwürdige Präsenz deutscher Truppen in Afghanistan unterstützen. Das ist kein Verteidigungskrieg da unten, auch wenn unsere Regierung das noch so oft gebetsmühlenartig erklärt.

Maffay hat seinen Truppenbesuch damit begründet, es ginge ihm nicht um Politik, sondern um Unterstützung für die Soldaten. Können Sie beides voneinander trennen?

Campino: Nein. Wer Soldat wird, unterschreibt das mit Haut und Haaren - anders kann eine Armee auch nicht funktionieren. Jeder Soldat, der diesen Vertrag unterschreibt, weiß, dass er unter Umständen in eine Situation gerät, in der er zerrissen wird in einer gedanklichen Auseinandersetzung zwischen Pflicht und Vernunft oder eigener Meinung. Wer die Toten Hosen kennt, weiß, dass es für uns ein Ding der Unmöglichkeit ist, in Afghanistan Truppen zu bespaßen. Nochmal: Ich habe Respekt vor jedem einzelnen Soldaten, der mit großer Verantwortung seinen Dienst leistet. Aber ich kann speziell diesen Einsatz nicht bedingungslos gut heißen.

Als junger Punk waren Sie selbst mal bei der Bundeswehr, haben dann nach drei Monaten verweigert. Haben Sie sich je gefragt, wie Ihr Leben verlaufen wäre, wenn Sie bei der Armee geblieben wären?

Campino: Nicht wirklich. Ich bin ja nur deshalb zur Bundeswehr gegangen, weil ich mich zunächst nicht der Auseinandersetzung mit meinem Vater stellen wollte.

Ihr Vater war Offizier im Zweiten Weltkrieg, hat später als Richter gearbeitet.

Campino: Ja, er hatte in Stalingrad gekämpft. Mein Vater war weiß Gott kein Nazi. Er war ein Patriot. Nach dem Krieg war er davon überzeugt, dass wir ein Terror-Regime wie das Dritte Reich künftig nur verhindern könnten, wenn wir eine stabile Armee hätten. Für mich ging es damals darum: Breche ich mit meinem Vater oder breche ich mit mir und meinen Überzeugungen. Dieser Entscheidung bin ich zu lange aus dem Weg gegangen. Plötzlich war der Einberufungsbescheid da. Da stand ich dann mit schwarz-rot-gold gefärbten Haaren in der Kaserne in Wuppertal . . .

Was zu der Zeit vermutlich noch nicht als patriotisches Spaß-Statement etabliert war.

Campino: Nein. Ganz und gar nicht. Ich kam mir vor wie ein Raubtier in einem Käfig, dem gerade klar geworden war: Hier kommst du nicht mehr raus. Ich wusste, dass ich mich und mein Leben verrate. Ich bin dann gleich am zweiten Abend zum Hauptfeldwebel gerufen worden. Der hat mir dann unmissverständlich klar gemacht: "Kanonier Frege, Sie haben jetzt zwei Optionen. 1. Sie behalten das da auf Ihrem Kopf und ich verspreche Ihnen, dass Sie bis zu Ihrer Entlassung Ihr Zuhause nicht mehr sehen werden. 2. Option: Ich gebe Ihnen fünf Mark, Sie gehen schön zum Frisör, lassen das da umfärben oder schneiden es ab. Und ich verspreche Ihnen: Wir starten noch mal neu."

Wie haben Sie reagiert?

Campino: Die fünf Mark habe ich nicht genommen, mir die Haare aber trotzdem abgeschnitten und schwarz gefärbt. Bei der Bundeswehr dachten sie, sie hätten einen Punk resozialisiert. Von dem Moment an war ich der Liebling des Hauptfeldwebels. Ich habe dann eine Zeitlang meine Schnauze gehalten und parallel dazu intensiv überlegt, wie ich aus dem Laden wieder rauskomme.

Was haben Sie gemacht?

Campino: Ich habe mich angestrengt. Ich wusste, weil die mich mochten, hatte ich die Chance auf eine Auszeichnung. Das wollte ich für meine Zwecke nutzen.

Aus dem Punk wurde ein Muster-Soldat?

Campino: Ich wurde als bester Soldat der Kompanie ausgezeichnet. Ich bekam eine Empfehlung zur Offizierslaufbahn. Ich hatte mich besonders bemüht. Ich habe all das nur deshalb getan, um später in der Verhandlung klar machen zu können, dass es mir bei meiner Verweigerung nicht etwa darum ging, mich vor den lästigen Pfadfinderübungen zu drücken. Im Gerichtsprozess sah meine Argumentation so aus: "Sie sehen ja, wie sehr ich mich bemüht habe, ein guter Soldat zu werden, aber ich schaffe es aus Gewissensgründen nicht." Was natürlich zum Teil eine Lüge war, weil ich in besonders bedrohlichen Situationen problemlos in der Lage wäre, mich bis aufs Messer zu wehren. Die typischen Fragen haben sie mir natürlich auch gestellt: "Was machen Sie, wenn Sie nach Hause kommen, Ihre Schwester wird vergewaltigt und auf dem Tisch liegt ein Revolver?"

Was haben Sie geantwortet?

Campino: Dass ich zwar schießen würde, aber danach nicht mehr weiterleben könnte. Dann sagte ich, meine Freunde, mein Umfeld, hätten schon beobachtet, wie ich mich nach dem Eintritt in die Bundeswehr verändert hätte, depressiv geworden wäre. Ich war offenbar so überzeugend, dass am Ende alle eher besorgt um mich waren.

Und der eigentliche Grund zu verweigern?

Campino: Ich wollte politisch nichts mit der Bundeswehr zu tun haben. Ich wollte nicht für Deutschland kämpfen. Als Punk bei der Bundeswehr - das war abartig. Einem Land dienen, indem man sich bewaffnet, das war mit meiner Philosophie nicht zu vereinbaren.

Wie hat Ihr Vater reagiert?

Campino: Ich hatte ihm zunächst nichts von meiner Entscheidung gesagt. Irgendwann musste er es natürlich erfahren. Dann gab es wüste Bedrohungen und Beschimpfungen. Ich kam mir ganz mies und klein vor. Aber diese Konfrontation mit meinem Vater war längst überfällig gewesen. Ich hätte nie zur Bundeswehr gehen sollen.

Wie ging es weiter?

Campino: Am Tag einer Parade arbeitete ich früh morgens in der Küche. Danach bin ich zu meiner Stube gelaufen und sah aus einem Fenster das geparkte Auto meines Vaters. Ich habe eilig einen Zettel heraus gekramt, drauf geschrieben "Es tut mir Leid". Als ich den Zettel gerade an der Windschutzscheibe seines Wagens befestigt hatte, mich umdrehte, steht da mein Vater, hinter ihm zwei Kommandeure von diesem Riesenbataillon. Ich hab sofort losgeheult. Mein Vater nahm mich in den Arm, sagte: "Ist schon gut Junge, du hast schon größeren Mist gebaut." In dem Moment hat er mir verziehen, während die anderen beiden ganz gerührt daneben standen. Für meinen Vater war es sicher nicht einfach, sich vor denen so zu verhalten. Aber er hat mich nicht fallen gelassen.

In dem früheren Lied "Unser Haus" haben Sie über Ihren verstorbenen Vater gesungen, in "Nur zu Besuch" über Ihre tote Mutter. Auf der neuen CD heißt es in dem Song "Draußen vor der Tür", so wie jetzt hätten Sie Ihren Vater noch nie vermisst, im Lied "Das ist der Moment" singen Sie, wie Sie Ihren Sohn zur Schule bringen und später zur Arbeit fahren - zu Rock am Ring. Bei Schriftstellern heißt es, sie arbeiten sich an einem Meta-Thema ab. Gehören "Väter und Söhne" für Sie in diese Kategorie?

Campino: Ich komme zu solchen Liedern, wie zu allen anderen, immer wieder wie die Jungfrau zum Kind. Ein Lied wie "Draußen vor der Tür" ist für mich essenziell. Bei "Das ist der Moment" war ich zugegebenermaßen ein bisschen unsicher, ob ich darüber schreiben sollte, wie ich meinen Jungen zur Schule fahre. Aber ich schreibe das ja nicht, um irgendetwas über meinen Sohn zu berichten, sondern um zu zeigen, dass ich mich nicht verdrehe oder verleugne, nur um immer wieder einem diffusen Rock'n'Roll-Klischee zu entsprechen.

Wenn man sich mal vergegenwärtigt, dass Sie mit Slogans wie "Ficken, Bumsen Blasen" angefangen haben, darf man das schon einen Paradigmenwechsel nennen.

Campino: Es ist nicht Rock'n'Roll, zu erklären, wie man die Schulbrote für seinen Jungen schmiert und ihn dann zur Schule fährt. Aber das ist zurzeit mein Leben. Es ist ein Versuch aufrichtig zu sein.

Um noch mal auf meine Eingangsfrage zurückzukommen: Wenn Sie bei der Bundeswehr die Offizierslaufbahn eingeschlagen hätten, wäre es nicht ausgeschlossen, dass Sie heute in Afghanistan stationiert wären.

Campino: Das weiß man nicht. Ich versuche, mich heute als Europäer zu sehen. Ich bin sehr glücklich darüber, dass sich ehemals verfeindete Nationen wie England, Deutschland und Frankreich einander angenähert haben. Meine Mutter war Engländerin, mein Vater Deutscher. Wenn ich als Kind bei englischen Verwandten zu Besuch war, wurden dort damals täglich Kriegsfilme im TV gezeigt, in denen die Deutschen dämonisiert wurden. Nicht leicht für einen kleinen Jungen, aber ich stand dabei immer auf der Seite meiner Mutter, auf der Seite der Engländer. Die Hälfte meiner Geschwister hat englische, die andere Hälfte deutsche Pässe.

Und Sie?

Campino: Ich habe einen deutschen Pass. Konflikte wurden in meiner Familie oft über England-Deutschland-Gegensätze ausgetragen. Mein Vater hat sich beispielsweise fast immer geweigert, mit uns in den Sommerferien nach England zu fahren. Wir sind mit ihm stattdessen zwei Wochen zum Wandern nach Österreich gereist, danach haben wir vier Wochen mit meiner Mutter Urlaub in England gemacht. Das sitzt sehr tief, hat mich geprägt.

Das Cover Ihrer neuen CD "Ballast der Republik" zeigt eine Collage, zu sehen sind Bundeswehr-Tornados, Punks, Maschinengewehre oder Adenauer und Merkel mit Masken. In dem Titelsong singen Sie von jungen Menschen, die tanzen, aber den Hass nicht überwinden können. Was treibt Sie, so düstere Lieder zur Lage der Nation zu schreiben?

Campino: Es ist der Versuch einer Gefühlsbeschreibung. Ich habe das Lied gemeinsam mit dem Rostocker HipHopper Marteria geschrieben. Unser Eindruck ist, dass viele junge Menschen die Schnauze voll haben, immer wieder auf die Schuld der Eltern und Großeltern angesprochen zu werden. Sie sagen: "Wir haben den Holocaust doch nicht angeordnet." Trotzdem kann man die Vergangenheit nicht einfach abstreifen oder in der Disco wegtanzen.

Die Mordserie der Nazi-Gruppe NSU hat zuletzt weltweit die Schlagzeilen bestimmt. Kürzlich gestand sogar der ehemalige SPD-Innenminister Otto Schily große Fehler bei der Einschätzung des rechtsextremen Terrors ein. Haben wir also eher zu wenig als zu viel "german angst"?

Campino: Deutschland ist in seiner Gesamtheit ein relativ selbstkritisches, sich selbst hinterfragendes Land. Das ist ein Pluspunkt. Dass es so etwas wie diese von Neonazis geplante Mordserie geben konnte, hat jedoch nichts mit der nachlassenden Wachsamkeit in der deutschen Öffentlichkeit zu tun, sondern mit einer Rechtsblindheit in der Bürokratie des Verfassungsschutzes. Das Thema wird schon seit Jahren angeprangert, wurde immer als linke Attitüde belächelt. Die Rechtsextremen wurden lange ignoriert, bagatellisiert. Jetzt hat sich gezeigt, wie fatal das war.

Mit den Toten Hosen waren Sie in den letzten 30 Jahren immer wieder ein sehr lauter, medienwirksamer Verstärker von Protestwellen. Zu neueren Protest-Phänomenen, seien es Occupy oder die Piraten, ist nichts von Ihnen zu hören. Spricht Sie das nicht mehr an?

Campino: Die Piraten haben bislang sehr erfolgreich den Eindruck erweckt, dass man die Bürger über das Internet motivieren könnte, aktiver am Polit-Geschehen teilzunehmen. Das ist der interessante und konstruktivste Aspekt bei den Debatten um diese Partei. Dass die Partei inhaltlich völlig auseinanderbricht, dass keine klare Linie zu sehen ist - disqualifiziert sie in meinen Augen. Eine politische Alternative sind sie für mich in dieser Form nicht.