Burg Waldeck Festivals: Die Liedermacher und '68
Berlin/dpa. - Als Sammelpunkt dieser Bewegung entpuppten sich in den 60er Jahren die Festivals auf der Burg Waldeck im Hunsrück an der Mosel mit Protagonisten wie Reinhard Mey, Hannes Wader, Franz Josef Degenhardt, Hanns Dieter Hüsch, Floh de Cologne, Insterburg & Co., Bob Davenport, Schobert & Black, Schnuckenack Reinhardt Quintett und Dieter Süverkrüp, von denen keineswegs alle damals schon mehr oder weniger arriviert waren. Der Anspruch war, so etwas wie eine «musikalische Gruppe 47» nach dem Vorbild der literarischen Avantgarde jener Aufbruchjahre um Günter Grass und Hans Magnus Enzensberger zu sein.
Kein Festival der alten Bundesrepublik habe je eine solche Wirkung gehabt wie die musikalischen Sommerabende an jenem Zeltplatz der Pfadfinder- und Jugendbewegung oberhalb einer kleinen Burgruine nahe der Mosel von 1964 bis 1969, heißt es in einer Sonderedition von Bear Family Records. Sie enthält 10 CDs mit Live-Mitschnitten der Waldeck-Festivals (fast 15 Stunden) mit zum Teil bisher unveröffentlichten Aufnahmen von mehr als 80 Sängern. Dazu gibt es einen spannend zu lesenden 240 Seiten umfassenden Dokuband mit Interviewausschnitten und Erinnerungen damals beteiligter Künstler, zahlreichen Fotos und Zeitungsausschnitten. Höhepunkt der Edition, die 95 Euro kostet, ist natürlich der Eklat im Protestsommer 1968, als die Parole «Stellt die Gitarre in die Ecke und diskutiert» Publikum und Künstler spaltete.
Die hitzigen Diskussionen werden ausführlich dokumentiert. Die Burg Waldeck blieb keine Insel der Seligen im Jahr des Aufruhrs 1968, als die Jugend zunehmend über Vietnamkrieg, Notstandsgesetze, Große Koalition, Hochschulreformen, Benno Ohnesorg und Rudi Dutschke reden wollte. Gefordert war plötzlich «Sozial- und Gesellschaftskritik im deutschen Chanson». Die Burg Waldeck sollte jetzt auch ein Teil des internationalen Widerstands» sein. Deren Besucherzahlen waren auch von den anfänglichen 350 auf zuletzt bis zu 6000 angeschwollen, was zu echten Infrastrukturproblemen auf dem Wald- und Wiesengelände führte.
«Worum es geht, ist, ob die Kunst sich der Kontrolle der Ideologen unterwerfen muss», brachte es einer der Zuhörer auf den Punkt, der nicht diskutieren, sondern Musik hören wollte und hinzufügte: «Verlangen Sie doch nicht mitten im Fußballspiel oder von Liebespaaren immer gleich politische Resolutionen!» Zeitweise besetzten Teile des - diskussionswütigen - Publikums einfach die Bühne.
Der heute 65-jährige Berliner Liedermacher Reinhard Mey erinnert sich mit Grausen an jene Tage, an denen er teilweise ausgelacht wurde. Es habe «etwas Faschistoides» gehabt, meinte er rückblickend in einem Interview in der Berliner «tageszeitung» (taz). Nur Degenhardt sei den Zwischenrufern gewachsen gewesen, «alle anderen sind verstummt». Mey ist heute stolz darauf, dass die Turbulenzen von 1968 ihn nicht wirklich hätten «entwurzeln» können. Das frühere Waldeck hatte für Meys Karriere auch eine enorme Bedeutung, wie er betont. Nach dem Festival von 1964 habe er seinen ersten Plattenvertrag bekommen.
Dabei schwebte Mey schon damals nicht immer nur «über den Wolken», wie eine Waldeck-Aufnahme von 1967 dokumentiert: «Wir wollten anders sein als alle, die wir kannten und pfiffen auf das Geld und glaubten die, wie wir, veränderten die Welt. Lang lebe die Anarchie!» Und auch Hüsch, der vom Publikum 1968 immer wieder unterbrochen wurde, weil er ihnen nicht radikal genug war, hatte schon ein Jahr zuvor vor der «deutschen Krankheit» und der damals erstarkenden NPD und der «nationalsozialistischen Lederhosen-Reaktion» gewarnt. Aber er sei ja «ein deutscher Lästerer, ein weltfremder Idiot, der doch am besten gleich nach Moskau gehen soll». Walter Hedemann besang die «Kleinstadt-Idylle»: «Richard seine Frau hat SPD gewählt. Dabei ist sie doch sonst noch ganz normal.» Degenhardt sang ein Lied auf der Waldeck, das zum Synonym und Klassiker geworden ist: «Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, sing nicht ihre Lieder».
Die Waldeck gibt es noch mit größeren und kleineren Treffen wie «Summerstage Waldeck 2008» (vom 25. Juli bis 3. August) oder einem Peter-Rohland-Singewettstreit Anfang September und auch einem Workshop «Lieder machen». Im Oktober wird «Das große Waldeck-Fest» veranstaltet, wie man der Website der Arbeitsgemeinschaft Burg Waldeck (www.burg-waldeck.de) entnehmen kann.
Der Mitorganisator der damaligen, heute legendären Waldeck-Festivals der 60er Jahre meint in dem Bear-Family-Band von Michael Kleff rückblickend: «Es war eine kurze Blütezeit des politischen Liedes in Westdeutschland, von etwa 1965 bis 1975, die sogar die Rundfunk- und Fernsehsender erfasste, dann aber bald wieder abgewürgt wurde. Seit den 80er Jahren dominiert in den westdeutschen Musikmedien wieder der angloamerikanische Rock-Pop-Einheitsbrei.» Kabarett und kritische Lieder kämen heute nur noch in den Spätprogrammen vor. Der Untertitel des Buches lautet «Der Stoff aus dem Legenden sind». Die Burg Waldeck ist ganz sicherlich ein wichtiger Teil der Liedermacher-, Song- und Chansongeschichte der deutschen Nachkriegszeit.
Burg Waldeck, 10-CD Box & Buch, Bear Family Records Buch: Michael Kleff: Die Burg Waldeck Festivals 1964-1969, 240 S., beides zusammen 95 Euro, ISBN 978-3-89916-394-0