Bundeswehr als "Armee der Einheit"? Bundeswehr als "Armee der Einheit"?: Die Erinnerung an die NVA verschwindet

Leipzig - Zur Entspannung sollte Ursula von der Leyen einfach mal nach Leipzig fahren. In der im Zeitgeschichtlichen Forum gezeigten Ausstellung „Ab morgen Kameraden! Armee der Einheit“ könnte die Verteidigungsministerin sehen, dass die Bundeswehr immerhin ein Traditions-Problem nicht hat: die Bezugnahme auf die Nationale Volksarmee, deren Reste die Truppe 1990 verwertet hat. Jedenfalls wurden dieser Tage in den Vitrinen der Bundeswehr-Kaserne Donaueschingen Wehrmachts- und keine NVA-Stahlhelme gesichtet. Die 1956 gegründete DDR-Armee ist nicht vorzeigbar. Dabei hatte auch sie Ehrensäbel und -fahnen zu bieten.
3. Oktober 1990: „Zusammenführung“ von NVA und Bundeswehr
Davon ist einiges in der vom Haus der Geschichte in Bonn gestalteten Ausstellung zu sehen, die die am 3. Oktober 1990 vollzogene „Zusammenführung“ von NVA und Bundeswehr als eine nationale Erfolgsgeschichte erzählen will. Irreführend ist nur, dass von einer „Zusammenführung“ eigentlich gar keine Rede sein kann. Die NVA wurde nicht zugeführt, sondern aufgelöst. Die Bundeswehr ist keine Armee plus, sondern ohne NVA. Es wurde nur übernommen, was zum militärischen Verwalten der neuen Ost-Provinzen akut notwendig war. Um das zu belegen, genügt ein Blick auf die Zahlen, die man sich in der Ausstellung etwas mühevoll zusammensuchen und gegen den Strich der erbaulichen Einheits-Erzählung lesen muss.
In den 1990 geführten „Zwei-plus-Vier“-Verhandlungen wurde die 1955 gegründete Bundeswehr als einzige deutsche Streitkraft bestimmt und deren Truppenstärke auf 370.000 Mann beschränkt. Das war mit 320.000 Mann die alte Bundeswehr plus 50.000 zusätzliche Kräfte. Die wurden als „Bundeswehrkommando Ost“ vom späteren brandenburgischen CDU-Spitzenpolitiker Jörg Schönbohm von Strausberg aus befehligt: 20.000 ehemalige NVA-Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit, die für zwei Jahre als Zeit-Soldaten übernommen wurden, zudem 25.000 Ost-Wehrpflichtige und 5.000 westdeutsche Berufs- und Zeitsoldaten sowie Freiwillige. Am Ende waren es rund 11.000 übernommene Ostler - von 250.000 Mann NVA-Stärke Anfang 1989. Also rund 4,4 Prozent.
Auflösung der Nationalen Volksarmee: 80 Prozent des NVA-Offizierskorps’ wurden entlassen
Die suggerierte Fusion war tatsächlich ein Abräumen. Das fiel schwer genug. 80 Prozent des NVA-Offizierskorps’ wurden entlassen, vom militärischen Material nur sieben Prozent verwendet. Was übrig blieb, wurde zerstört oder verkauft. In der Schau ist ein Foto zu sehen, das eine Legion von Trabant-Fahrzeugen zeigt.
Dass die faktische Auflösung der NVA keine falsche Entscheidung war, ist wahrscheinlich, nur sollte man diesen Vorgang auch als einen solchen benennen und sich die falsche Poesie einer aus feindlichen Teilen zusammengewachsenen Armee sparen. Denn die Auflösung der Ost-Streitkräfte wäre ja - wie überhaupt die NVA - tatsächlich ein Thema, das dann aber anders zu erzählen wäre. In der Schau finden sich vor allem Hörtexte, die alles vom Ende her berichten. So spricht der NVA-Hauptmann Udo Beßer, der es als einer der Wenigen später zum West-Oberstleutnant brachte, davon, dass die NVA in der DDR-Gesellschaft immer nur als ein „notwendiges Übel“ gegolten habe. Worin dieses Unglück bestand, rückt nicht in den Blick.
Die Schau zeigt in ihrem NVA-Teil, was man heutzutage in DDR-Ausstellungen so sieht. Zuerst das TV-Sandmännchen, das 1976 von hilfsbereiten NVA-Soldaten empfangen wird. Einen zum Kinderpanzer umgebauten, vom DDR-Kosmonauten Sigmund Jähn signierten Trabant, der die Durchmilitarisierung der Gesellschaft sinnfällig machen soll. Bausoldaten-Schulterklappen. Den Wehrpass des letzten DDR-Verteidigungsministers Eppelmann. Die Tradition, auf die sich wiederum die NVA berief, die in ihren Uniformen die Wehrmacht zitierte, bleibt außen vor. Auch die Härte der Führung.
Zu DDR-Zeiten bis zu 380.000 Sowjetische Soldaten im Land stationiert
Die beiden offiziell als Feind-Armeen annoncierten Truppen hatten sich - und das ist eine Pointe der Schau - überhaupt nicht für einander interessiert. Die Nato, nicht die Bundeswehr war von Interesse, sagt der Ostler Beßer. Dem Brigadegeneral-West Hans Helmut Speidel galt die NVA als „Satelliten-Armee“, die „nicht aus eigenem Recht“ gehandelte hätte; man interessierte sich für die Russen, die in der DDR 380.000 Mann hielten.
In einer Film-Sequenz ist das Einholen der DDR-Fahne am 3. Oktober 1990 in Strausberg zu sehen. Ein junger NVA-Soldat zieht das Tuch herunter, rafft es locker unterm Arm. NVA, weggetreten! Wie die Ausstellung zeigt, auch aus der näheren ostdeutschen Erinnerung.
Zeitgeschichtliches Forum, Leipzig, Grimmaische Straße 6: bis 10.9. Di-Fr 9-18, Sa-So 10-18 Uhr. Eintritt frei
(mz)