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Buchenwald Buchenwald: Es war einmal ein Kind

Von CHRISTIAN EGER 12.04.2010, 17:08

WEIMAR/MZ. - "Das Buchenwaldkind oder was vom Antifaschismus bleibt": Das ist ein großspuriger Titel. Denn was soll das sein: "der" Antifaschismus? Und wie sollte im Hinblick darauf eine gültige Summe gezogen werden? Dafür bräuchte man einen begrifflich und sachlich zielgenaueren Zugriff, als es 45 Fernsehminuten gestatten.

Aber ohne effektheischende Zeile geht es offenbar nicht. Und gemeint ist schließlich auch etwas anderes. Die von Ute Gebhardt für den MDR gedrehte Dokumentation versteht unter "Antifaschismus" vor allem das: die zu DDR-Zeiten ideologisch aufgeputzte Überlieferung des kommunistischen Widerstandes. Eine Erzählung mit quasi-religiösen Zügen, die von Buchenwald aus der DDR einen herzergreifenden Gründungs-Mythos stiften sollte. In diesem erfüllte die Rettung des "Buchenwaldkindes" eine wichtige Funktion.

Drei Jahre alt war Stefan Jerzy Zweig, als er am 5. August 1944 gemeinsam mit seinem Vater, dem polnisch-jüdischen Anwalt Zacharias Zweig, nach Buchenwald geriet. Der Knabe war nicht das einzige, aber das jüngste Kind, das jemals in das Konzentrationslager deportiert worden war. Für die Inhaftierten galt eine Untergrenze von zuerst 18, später 16 Jahren: Die Kinder leisteten Schwerstarbeit.

Bis heute hat die öffentliche Erinnerung an Stefan Jerzy Zweig an Peinigendem und Peinlichem nichts verloren. Man kennt den 1958 von Bruno Apitz veröffentlichten Roman "Nackt unter Wölfen", den 1963 unter gleichem Namen abgedrehten Film. Man weiß heute, dass das Kind sein Überleben nicht allein den kommunistischen Funktionshäftlingen, sondern auch seinem Vater zu verdanken hat. Man kennt den Fakt, dass 1944 der 16-jährige Sinto-Junge Willy Blum den Platz auf der Transportliste nach Auschwitz einnahm, auf dem zuerst der Name Stefan Jerzy Zweigs erschienen war. Das alles hat zuletzt der britische Historiker Bill Niven in einem kenntnisreichen Buch zusammengetragen.

Für Stefan Jerzy Zweig, der heute 69-jährig in Wien lebt, bleibt die Geschichte des Lagers eine am lebendigen Leib erfahrene Geschichte, die fortwirkt bis heute. Die Grenze zur Instrumentalisierung seiner Person wird schnell überschritten, wo es an Distanz und Takt mangelt. Ute Gebhardt ist sichtbar bemüht, Zweig nicht zu einer abermaligen "Dekonstruktion" des Buchenwald-Mythos' zu benutzen. Sie lässt ihn reden. Und man staunt, wie unaufgeregt Zweig sich der Kamera stellt. Selbstverständlich spricht er hauptsächlich von Verletzungen: Davon, dass für ihn die Shoah nicht 1945 zu Ende war.

An den Spätfolgen der Deportation hatte er über Jahre zu leiden. Und daran, dass man in der DDR die rettende Rolle seines Vaters aus der Erzählung vom "Buchenwaldkind" eliminiert hatte; alles lief auf den Einsatz der kommunistischen Häftlinge zu. Selbstverständlich habe er diesen viel zu verdanken, aber eben nicht alles. Bruno Apitz nennt er schmallippig "Herr Apitz".

Ute Gebhardts Dokumentation bietet den Film zum Buch des Historikers Niven. Alles wird angefasst: die Geschichte der Gedenkstätte, des Romanes und seiner Verfilmung, das Überleben des Stefan Jerzy Zweig. Dabei gäbe ein jeder Aspekt einen eigenen Film her. Auch der Stolz der Buchenwaldhäftlinge. Die Kommunisten, erklärt Bill Niven im Film, hätten ihren Widerstand im Lager als einmalig begriffen. "Sie hatten das Gefühl: Wir sind etwas Besseres." Besser als die Genossen, die im Exil überlebten. Ulbricht, der den Krieg in Moskau überdauerte, habe das gespürt. Auch deshalb hätten sich viele Häftlinge Anfang der 50er Jahre vor entwürdigenden SED-Kommissionen wiedergefunden.

Kiki Apitz, die Witwe des Schriftstellers, spricht über die Schwierigkeiten ihres Mannes, den Roman in die Öffentlichkeit zu tragen. Armin Mueller-Stahl berichtet von den Dreharbeiten zu "Nackt unter Wölfen", die auf dem Gelände des Lagers stattfanden: Vier Reihen Baracken wurden nachgebaut. Aus dem Schornstein des Krematoriums drang noch einmal Rauch. Bruno Apitz, der selbst eine Nebenrolle spielt, überwachte alle Details.

Dass die zu DDR-Zeiten am Effektengebäude des Lagers installierte Tafel zum Gedenken an Stefan Jerzy Zweig 1999 entfernt wurde, um diese durch eine Informationstafel zu ersetzen, schmerzt Zweig bis heute. Sehr zu Recht. Die Tafel ist ihrerseits ein historisches Zeugnis gewesen; vergangenheitspolitisch wäre niemandem ein Zacken aus der Krone gebrochen, hätte diese Tafel überdauert. Zweig sieht es so: "Wenn man einem Menschen seinen Namen nimmt, löscht man ihn ein zweites Mal aus".

Eine Geschichte, die Untiefen birgt. Ute Gebhardt absolviert diese sachlich, indem sie Bilder und Statements aneinanderreiht. Das geht gut bis zum Finale. Im letzten Bild taucht ein Zitat des Literaturnobelpreisträgers Imre Kertész auf, der selbst als Kind Buchenwald überlebte: "Die Unschuldigen sind die, die gestorben sind." Wie bitte? Was soll diese Formel als Schluss-Satz der Recherche leisten? Ist das Buchenwaldkind etwa schuldig geworden? Wäre Zweig irgendetwas vorzuwerfen? Die Aussagen der Opfer sprechen mit einer grundsätzlich anderen Autorität als die der Täter - und die der Nachgeborenen. Nichts darf man hier miteinander vermischen.

"Das Buchenwaldkind oder was vom Antifaschismus bleibt":

heute um 22.05 Uhr im MDR-Programm.