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Autobiografie von Bruce Springsteen  Bruce Springsteen: Autobiografie "Born To Run" zeigt nachdenklichen Menschen

Von Janek Könau 30.10.2016, 13:00
Schmales Lächeln, großes Herz: Bruce Springsteen ist einer der größten lebenden Rockstars, zugleich aber ein bescheidener Mann, der sein Leben lang gegen dunkle Dämonen gekämpft hat.
Schmales Lächeln, großes Herz: Bruce Springsteen ist einer der größten lebenden Rockstars, zugleich aber ein bescheidener Mann, der sein Leben lang gegen dunkle Dämonen gekämpft hat. DPA

Er grinst übers ganze Gesicht. Eine Menschentraube hat sich um ihn versammelt. Ausgestreckte Hände, schubsende Schultern. Bruce Springsteen signiert sein Buch „Born To Run“. Für den „Boss“, wie ihn seine Fans nennen, eine bekannte Szenerie. Nur dass die, die heute um ihn herumwimmeln, keine Fans sind, sondern gestandene Profis, erfahrene Reporter, erwachsene Leute.

Springsteen,  67 Jahre alt, grauer Bart und volles Haar, ist einer der letzten einer Generation von Künstlern, deren Musik das Leben anderer wirklich beeinflusst hat. „Hungry Heart“, „Badlands“,  „The River“ - Lieder, deren  Namen nach Freiheit klangen, gerade dort, wo keine Freiheit war.

Springsteen selbst sagt zwar lapidar: „Ich denke nicht viel darüber nach.“  Doch die Menschen, die seine Songs hörten, tragen ihre Melodien bis heute in sich, die Geschichten von Sehnsucht und dem kleinen Glück, das sich in Straßenstaub bettet.

Bruce Springsteen: Präsentation der Autobiografie "Born to Run"

In Frankfurt, wo der „Boss“ während einer seiner seltener gewordenen Europa-Reisen Hof hält, hat sein Verlag ihm eine große Inszenierung spendiert.  Streng geheim, straff organisiert, über den Ort des Treffens soll selbst im Nachgang kein Wort verraten werden. Springsteen steht auf einem kleinen Podest, er ist  Mittelpunkt, Kraftzentrum, die lebende Legende.

Erwartungsvolle Stille in der Luft,  eine Minute nur haben die Fotografen Zeit. „Ah, das war’s schon?“, fragt Springsteen dann amüsiert. Der Mann ist Profi, er hat seine Posen, nicht nur auf der Konzertbühne.

Heute ist er der Kumpel, der Typ von nebenan, der mit den Füßen auf dem Boden geblieben ist. Lässig lehnt er im Sessel, die Beine breit, in Blue Jeans und grauem Sakko. Die freiliegenden Schultern, die zum Bühnen-Springsteen gehören wie die abgewetzte Telecaster und die Drei-Stunden-Auftritte, heute sind sie verdeckt.

Bruce Springsteen: Musiker mit dem Herz auf der Zunge

Und immer dieses bubenhafte Grinsen im Gesicht, das so gar nicht zu dem  in seinem Buch beschriebenen Leben passen will. „Born To Run“ ist keine gefällige Lektüre, kein Sex&Rock-Heldenroman.

Stattdessen trägt der Mann, der Mitte der 70er Jahre zur „Zukunft des Rock’n’Roll“ erklärt worden war, hier sein Herz auf der Zunge. Der  unerschütterlich scheinende Rockgigant macht keinen Halt davor, von den Depressionen zu sprechen, die ihn sein ganzes Leben lang begleitet haben.

„Es ist eine Familien-Geschichte“, verrät er, „einige von uns leiden darunter.“
Nichts verstecken, sich nicht verstellen, echt sein. Das war stets das, was Springsteen von anderen unterschied, die ein Image pflegten und ihre Musik an Erwartungen ausrichteten.

Diese Mühe hat sich der Junge aus Freehold, New Jersey nie gemacht. Entwaffnend offen spricht er heute  über seine Kindheit, über das schwierige Verhältnis zu seinem Vater, der unter einer bipolaren Störung litt und die Familie mit Gelegenheitsjobs ernährte.

Rockstar Bruce Springsteen schrieb sieben Jahre an Autobiografie "Born to run"

Springsteen hat sich sein Leiden an seinem Dad von der Seele geschrieben. „Es war sehr wichtig für mich, über das Leben meiner Eltern sprechen zu können“, meint er, die Stimme rau, zugleich aber beruhigend.

Getan hat er das immer schon, nur nicht so. „Ich habe viele Songs über sie geschrieben, aber ich hatte immer den Eindruck, dass die in ihrer Reichweite sehr beschränkt waren.“

Die Welt hat ihn gehört, seine Familie nicht. Erst am Tag bevor Springsteen selbst Vater wurde, kam sein alter Herr zu ihm, um sich zu entschuldigen. Nicht viel mehr wurde gesprochen. Zwei Männer, die sich an Bierflaschen festhielten, nickt Springsteen. Eine Andeutung des Rückhalts, die sich der Star so lange gewünscht hatte.

Für Springsteen, der in den letzten Jahren musikalisch viel aktiver war als in seinen 40ern, ist sein erstes Buch eine Beichte.

Sieben Jahre hat er daran geschrieben. Aber für den gleichnamigen Song sei es kaum weniger gewesen: „Ichhabe sechs Monate am Text gesessen“. Und der sei viel kürzer. Heraus kam damals das Album, das ihn in den Mainstream katapultierte - oder besser: den Mainstream  dort platzierte, wo Springsteen war.

Bruce Springsteen: „Es ist einfach, als Star die Regeln zu brechen“

Ein Kontroll-Freak wie damals, als er mit seiner Band noch durch Kneipen und Bars tingelte, sei er nicht mehr, sagt der Mann, der zum Lesen eine Brille braucht. „Ich bin ja alt“, kokettiert er. Die rastlosen Jugendtage, nicht wissend, wo der Weg hinführt, hauptsache, in Bewegung bleiben, sie sind vorbei wie die kindlichen Träume, in denen Springsteen Mick Jagger bei den Rolling Stones ersetzte, und die wilden Nächte in St. Pauli, in denen er aus dem „schlimmsten Publikum der Welt“ eine tanzende Meute werden ließ.

Das alles liegt lange zurück.  Aber seine Vorstellung vom Rock’n’Roll-Ruhm, gesteht der Kopf der E-Street-Band, war schon damals anders als die vieler Kollegen.

„Es ist einfach, als Star die Regeln zu brechen“, sagt er. Ihm sei es aber immer „mehr darum gegangen, ein paar Regeln aufzustellen, nach denen ich leben will“.

Das hält er durch, hemdsärmlig und kompromisslos, ein Unikat in einer Pop-Welt, die aus schönen Oberflächen besteht. Bruce Springsteen hat die Tiefen gesucht, die Inhalte, das, was Gesellschaften zusammenhält. Oder nicht.

Mit der Autobiografie "Born to run" ist das Bild von Bruce Springsteen vollendet

Die Freie Deutsche Jugend der DDR wollte den jungen Leuten der Republik etwas bieten, um die im Sommer immer wieder auftretenden Reisewellen zu verhindern, die losbrachen, wenn Bands wie Pink Floyd ankündigten, auf Westberliner Mauerseite Konzerte für die ostdeutschen Fans geben zu wollen. Der größte Coup der Jugendorganisation, die bis dahin schon Joe Cocker, Big Country, Fischer-Z und Marillion eingekauft hatte, ist beim „5. Rocksommer der FDJ“ im Juli 1988 der 39-jährige Bruce Springsteen. Der hatte sich die DDR sechs Jahre zuvor bei einem privaten Besuch angeschaut - und er lag seinem Manager Jon Landau seitdem in den Ohren, ihm ein Konzert dort zu organisieren. Utopisch, denn der SED gilt Springsteen zwar als Kritiker amerikanischer Zustände, aber auch als unverbesserlicher US-Patriot. Dann aber darf 1984 plötzlich seine Platte „Born in the USA“ erscheinen. Und die FDJ fragt, ob Springsteen nicht in Ostberlin spielen will. Und wie gern. Der Boss akzeptiert eine Million DDR-Mark als Gage, begleitet von einem 140-köpfigen Tross reist er nach Berlin-Weißensee und erlebt eine Sternstunde. „Ich bin nicht hier für oder gegen eine Regierung“, sagt Springsteen, „ich bin hier, um Rock’n’Roll zu spielen“. Vor der Bühne stehen offiziell 160.000 Fans, inoffiziell sind es eine Viertelmillion. US-Fahnen werden geschwenkt, Fahnen der Sehnsucht. Die Stasi-Aufpasser sind machtlos. „Ein Eingreifen“, vermerkt ein MfS-Mann im Einsatzprotokoll, „war nicht möglich.“

Darüber hat er gesungen. Darüber hat er gesprochen. Wie damals 1988 in Ost-Berlin, als er mit seiner Band eines „der größten Konzerte unseres Lebens“ spielte, wie er sagt.  250.000 DDR-Menschen vor der Bühne, Springsteen oben, der sein Konzert auf dem Gipfel der Euphorie unterbricht und  trotz Live-Übertragung von einem Zettel mit der deutschen Übersetzung seinen Wunsch abliest, dass „eines Tages alle Barrieren niedergerissen sein werden“. Das DDR-Fernsehen zensiert sofort. Eine Übertragungsstörung. Angekommen ist die Botschaft trotzdem.

Diese Erinnerungen sind frisch und schön, poliert durch die Arbeit am Buch. Andere glänzen düster im Rückblick, sie zeigen eine dunkle Seite des strahlenden Helden, der die Reise vom Hilfsarbeitersohn zum Rock-Millionär so unbeschadet absolviert zu haben schien.

Aber das macht Bruce Springsteen nicht angreifbarer. Vielmehr scheint das Bild nun vollendet: Der Mann, der Epen über die Leute aus der Mittelklasse schuf, der Amerika mit all seinen Abgründen, Märchen und Idealen erkundet hat, er lebt selbst mit Abgründen, von Märchen und lebendigen Idealen.

Bruce Springsteen nimmt Fragen danach mit dem gelassenen Grinsen entgegen, das er heute gar nicht abzunehmen scheint. Nein, den Sinn des Lebens habe er noch nicht entdeckt, sagt er. Und auch die Filmrechte an seinem Buch und seinem Leben hat noch niemand gekauft. Bruce Springsteen klingt nicht, als interessiere ihn das groß. Er zeigt wieder dieses Jungslächeln. Der Boss, ein großer Kumpel.

(mz)