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"Vater des Bossa Nova" Brasiliens Musiklegende João Gilberto ist tot

Von Christian Bos 07.07.2019, 10:00
João Gilberto
João Gilberto AP

Rio de Janeiro - Sein Vater ließ ihn in eine Nervenklinik einweisen. Der Junge wollte nicht arbeiten. Mit 15 hatte João Gilberto die Schule abgebrochen, um sich stattdessen mit seiner Gitarre auf dem zentralen Platz der Stadt Juazeiro im brasilianischen Bundesstaat Bahia unter einen Tamarindenbaum zu setzen und für die Passanten zu spielen.

Später zog es ihn in Bahias Hauptstadt Salvador und schließlich nach Rio de Janeiro, in deren Nachtclubs er eine bescheidene Existenz als Samba-Sänger fristete. Die er sogleich wieder gefährdete, weil er sich weigerte in Clubs aufzutreten, deren Besucher die Dreistigkeit besaßen, während seiner Auftritte zu reden. 

Er übte im Badezimmer

Also die Armut: Gilberto ließ seine Haare sprießen, durchstreifte die Stadt in ungebügelten Hosen, flüchtete schließlich zu seiner älteren Schwester im Bundesstaat Minas Gerais, in dem die portugiesischen Eroberer einst Gold und Diamanten gefunden hatten. Dort verbrachte João Gilberto die meiste Zeit im Badezimmer, der Akustik halber. Er drosselte seine Stimme, bis sie wenig mehr war als ein absichtsloses, nasales Flüstern, er schlug die Gitarre in einem seltsam versetzten, stotternden Rhythmus. 

FILE - In this July 1978 file photo, Brazilian Joao Gilberto, right, chats backstage with a fan at the Newport Jazz Festival at Carnegie Hall in New York. The Brazilian singer and composer, who is considered one of the fathers of the Bossa Nova genre, has died. His death was confirmed by his children on Saturday, July 6, 2019. Gilberto was 88 years old. (AP Photo, File)

ap

João Gilberto (r.) 1978 mit einem Fan

Das klang verrückt, und das war der Moment, in dem sein Vater ihn einweisen ließ. „Schauen sie, wie der Wind die Bäume enthaart“, sagte Gilberto aus dem Anstaltsfenster schauend zum Nervenarzt. Der wies seinen Patienten sanft darauf hin, dass Bäume keine Haare haben. „Und manche Menschen haben keine Poesie“, schnappte der Sänger zurück und wurde entlassen. Tatsächlich litt er Zeit seines Lebens unter Depressionen. 

Wieder in Rio fand er in dem Komponisten Antônio Carlos Jobim einen Verbündeten, der sich sogleich daran machte, die passenden Lieder für den neuen Stil zu schreiben. Sein „Chega de Saudade“ und Gilbertos „Bim-Bom“ gelten 1958 als die ersten Bossa-Nova-Songs. Bald pilgerten auch nordamerikanische Musiker nach Rio, um diesen Sänger und Gitarristen zu hören, der mit sechs Saiten eine ganze Samba-Gruppe evozieren konnte.

1963 zog Gilberto in die Vereinigten Staaten und nahm zusammen mit dem Saxophonisten Stan Getz das Album Getz/Gilberto auf, dessen Single „The Girl from Ipanema“ ein Welterfolg wurde - und Gilbertos damalige Frau Astrud, die nie zuvor in einem Studio gesungen hatte, zum Star machte. 

Er scheute den Ruhm

João Gilberto aber scheute den Ruhm, Interviews gab er so gut wie nie, Konzerte brach er beim kleinsten Nebengeräusch ab. Auf seinem selbstbetitelten Album von 1973, von Fans das „Weiße Album“ genannt, hat der Eigenbrötler vielleicht den minimalistischen Nullpunkt seiner Kunst gefunden, die absolute Stille, aus der heraus er seine Zuhörer hypnotisieren konnte. 

Die darauffolgenden Generationen brasilianischer Musiker, allen voran Caetano Veloso, feierten Gilberto als ihren Gott. Gab der Meister nach Jahren, die er nur für sich spielend in seinem Apartment verbracht hatte, mal wieder ein Konzert, wurde das wie die Wiederkunft des Messias gefeiert.

Am Samstag ist João Gilberto im Alter von 88 Jahren in Rio de Janeiro gestorben, zuletzt soll er vereinsamt und hochverschuldet gewesen sein. Eigentlich war er so schon geboren worden. Und doch hat er aus dem Badezimmer seiner Schwester heraus den Lauf der Musikgeschichte verändert, wie es im vergangenen Jahrhundert nur einer Handvoll Menschen vergönnt war.