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Brandenburg Brandenburg: Man muss es erlebt haben

Von christian eger 21.09.2012, 17:47

Halle (Saale)/MZ. - Wo Land war, ist Landschaft. Wo Schlösser standen, machen sich Wiesen breit. Nicht in jedem Fall, aber eben doch. "Seltsames Land, dieses Brandenburg", schreibt Werner Liersch im Vorwort seines neuen Buches - und schon will man ihm zustimmen.

Denn das sichtbare Brandenburg ist ohne das unsichtbare kaum zu verstehen - und nur unvollständig zu erleben. Man muss wissen, was fehlt, um zu begreifen, was ist. Wenn man in Schlossgärten in die Irre läuft, weil das Herrenhaus verschwunden ist, das dem Krieg oder der DDR zum Opfer fiel. Man reibt sich die Augen und blickt ins Leere: in Buckow oder in Kunersdorf.

Von letzterem gibt es zwei. Östlich der Oder, im heutigen Polen, liegt das berühmtere: das "Schlachten-Kunersdorf", in dem 1759 die Preußen den Russen und Österreichern unterlagen und der Dichter Ewald von Kleist tödlich verwundet wurde. Westlich der Oder liegt das "Chamisso-Kunersdorf": südlich von Wriezen, mitten im Oderland.

Ein bis heute zauberischer Garten, in dem sich 1813 der Dichter Adelbert von Chamisso (1781-1836) aufhielt. Als Botaniker war der mit seiner Familie vor der Revolution geflohene Franzose in den Dienst der Herrin von Kunersdorf getreteten: der Gräfin Henriette Charlotte von Itzenplitz, einer klugen, verblüffend emanzipierten Frau. In Kunersdorf legte Chamisso nicht nur ein Pflanzenverzeichnis und ein Herbarium an, sondern er begann seine "wundersame Geschichte" von Peter Schlemihl zu schreiben, dem Mann ohne Schatten. Die "berühmteste Geschichte der Romantik", wie Werner Liersch notiert, der im Kunersdorfer Garten dem Dichter und der Gräfin folgt, um dem Ort, dessen Schloss im April 1945 zerschossen wurde, sein kulturhistorisches Volumen zurückzugeben. Der Autor als ein umgestülpter Schlemihl: Dem hinterlassenen Schatten der Dinge fügt Liersch deren Gestalt hinzu.

"Dichterland Brandenburg" heißt das Buch, in dem der 1932 in Berlin geborene Literaturhistoriker und Publizist "Literarische Entdeckungen zwischen Havel und Oder" vornimmt. Der Untertitel verspricht nicht zu viel, denn Liersch, der einem breiten Publikum vor allem mit seinen biografischen Recherchen zu Hans Fallada, zum Umfeld Goethes und zuletzt zur Kriegsvergangenheit Erwin Strittmatters bekannt wurde, ist ein ganz und gar eigenständiger Schriftsteller. Einer, der sich zu schade wäre, nur neu zusammenzutragen, was bereits von den literarischen Markwanderern Theodor Fontane oder Hans Scholz veröffentlicht wurde.

Das Panorama an Orten, Gestalten und Geschichten, das Liersch entfaltet, umfasst rund 250 Jahre: vom 18. Jahrhundert an bis in die frühen 1990er Jahre. Von den Rheinsberger und Potsdamer Jahren Friedrichs II. an unter anderen über die Romantiker Tieck, Fouqué und die beiden Arnims, über Hauptmann, Tucholsky, Kellermann, Fallada und Rowohlt bis hin zu Gorki, Becher, Brecht und Nabokov sowie am Ende hin zur Villa des Ufa-Stars Marika Rökk.

Deren Haus bei Petzow am Schwielowsee diente in den DDR-Jahren als Schriftsteller-Erholungsheim "Friedrich Wolf". Ein Ort, über den der Hamburger Autor Karlludwig Opitz einen Roman namens "La bolsche Vita" schreiben wollte. Nun trägt das von Liersch an eigenen Erinnerungen entlang verfasste Petzow-Kapitel diesen Titel. "Man muß es erlebt haben", zitiert Liersch an anderer Stelle Rudolf Köpke, Tiecks "Eckermann".

Warum das alles über Brandenburg hinaus von Interesse ist? Weil Brandenburg seit über 250 Jahren die Region mit der höchsten Dichterdichte in Deutschland ist, die der preußischen und deutschen Metropole Berlin geschuldet ist. Der preußische leistete sich wie der "rote" Adel der DDR neben der Stadtwohnung in Berlin immer auch einen Landsitz im Märkischen. Arnim und Fouqué pendelten zwischen Berlin und ihrem Gehäuse im Grünen genauso wie Becher oder Brecht. Das macht dieses Gelände über das Nur-Regionale hinaus für die deutsche Kulturgeschichte interessant. "Die Landschaften haften an den Dichtern", schreibt Liersch. Und der märkische Sand wandert am Grund der deutschen Literaturgeschichte.

Dieses Buch zeigt viel. Den Knauf aus Glas zum Beispiel, der die Tür zur Arbeitskammer des Dichters Peter Huchel in Wilhelmshorst öffnete. Das Haus, in dem der Verleger Ernst Rowohlt im trinkfreudigen Grünheide lebte ("Grün ist die Heide, Grünheide ist blau..."). Das Heimweh der von den Nazis verfolgten deutsch-jüdischen Dichterin Gertrud Kolmar nach der märkischen Stille: "Ich ziehe meine Einsamkeit um / Sie ist wie ein stärkendes Gewand."

Liersch schreibt lakonisch, sinnlich, schlank. Er ist kein Schwärmer. Und kein Moralist. Er ist der Glücksfall des Historikers als Schriftsteller. Einer, der mit Fakten überrascht. Mit seinem Dichterbuch legt der in Berlin und im märkischen Kolberg lebende Autor keine Blättchenprosa vor, sondern eine Kapitel für Kapitel komponierte Textur, die als ein Lebensbuch nicht falsch begriffen ist. Am Sonntag wird Werner Liersch 80 Jahre alt.

Werner Liersch: Dichterland Brandenburg. Verlag für Berlin-Brandenburg, 264 Seiten, 19,95 Euro