Bogensee bei Wandlitz Bogensee bei Wandlitz: FDJ-Kaderschmiede neben Goebbels' Landsitz
Wandlitz - Die Stalin-Allee mitten im Grünen? Das ist der erste, irritierende Eindruck, wenn man das Areal der ehemaligen Jugendhochschule „Wilhelm Pieck“ am Bogensee betritt. Die Assoziation ist im Übrigen durchaus nicht falsch, der Architekt der mächtigen Gebäude im Stil des Sozialistischen Klassizismus ist Hermann Henselmann (1905-1995) gewesen, auf dessen Konto eben auch die heutige Karl-Marx-Allee in Ostberlin geht.
Neben den Schulgebäuden, direkt am schilfbewucherten Bogensee, liegt der Landsitz des NS-Propagandaministers Joseph Goebbels. Auf einem Natursteinsockel errichtet und mit einem Walmdach versehen, schmiegt es sich flach und protzig zugleich in die Landschaft. Die rückwärtigen, haushohen Fenster, so heißt es, sollen heute noch per Knopfdruck im Boden zu versenken sein.
Fröhliche Feste mit Ufa-Stars
Auf der lauschigen Terrasse hat der Obereinpeitscher der Nazi-Ideologie an seiner Rede vom „totalen Krieg“ gebastelt, im Saal des Hauses empfing er Ufa-Stars wie Zarah Leander und Heinz Rühmann zu fröhlichen Festen. Und die Filme der geschätzten Künstler konnte sich Goebbels gleich vor Ort, im eigens eingebauten Kino, angucken.
In dieser dubiosen, wenn auch geschichtsträchtigen Liegenschaft, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zunächst von der Roten Armee als Lazarett genutzt worden war, siedelte sich 1946 die eben gegründete Freie Deutsche Jugend (FDJ) an, die Kaderorganisation der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Die Hochschule hieß zunächst Waldhof am Bogensee, 1950 bekam sie den Namen des ersten (und einzigen) Präsidenten der DDR, Wilhelm Pieck. Ein Jahr später begann der Ausbau der zunächst nur provisorisch etablierten Bildungsstätte.
Unlängst waren das Gelände und Teile der Schule nach längerer Zeit wieder öffentlich zugänglich, den vertrauten Gesprächen der teils von weither angereisten Besucher war rasch zu entnehmen: Hier findet auch eine Art Traditionstreffen statt. Ein Verein namens „Arbeitskreis Geschichte der Jugendhochschule ,Wilhelm Pieck‘“ will sich darum kümmern, das „humanistische und sozialistische Anliegen“ der Einrichtung nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.
Zeugen sollen sich melden, die dabei gewesen sind - also Lehrgangsteilnehmer aus der DDR wie aus dem befreundeten, aber auch aus dem kapitalistischen Ausland. Letztere wurden nicht selten konspirativ an den Bogensee verfrachtet, um sie in ihrer Heimat vor Nachfragen zu schützen. Man darf annehmen, dass in den erstaunlichen Henselmann-Blöcken von nichts weniger als der Weltrevolution geträumt wurde, auf die man vorbereitet sein wollte.
Der Film „Comrade - Where Are You“ nimmt dieses Thema auf, gedreht von der Finnin Kirsi Marie Liimatainen, die 1988 als 20-Jährige an den Bogensee kam, um Marxismus-Leninismus zu studieren. Jetzt war die Spurensuche der Regisseurin im Kulturhaus der alten Jugendhochschule zu sehen: Was ist aus dem Menschen, was aus ihren kommunistischen Idealen geworden?
Die Geschichte hat es bekanntlich anders gefügt, mit dem Fall der Mauer entschied sich auch das Schicksal der Kaderschmiede bei Wandlitz, wenige Kilometer nördlich von Berlin. Die Gegend hat einen Bedeutungswandel durchgemacht, aber die Zeugnisse des untergegangenen Staates (und auch die seines Vorgängers) liegen nicht nur am Bogensee dicht bei dicht.
Ein Bunker für Honecker
In Prenden, gleich nebenan, dämmert der Bunker vor sich hin, in dem der SED-Chef Erich Honecker und die DDR-Führung den Atomkrieg überleben wollten, ein paar Steinwürfe weiter liegt die Waldsiedlung, in der die führenden Genossen wohnten. Und allüberall werden dort noch Menschen siedeln, die zu den Bediensteten des Machtapparates gehörten.
Was tun mit einem solchen Konvolut an verdrängter Geschichte? Was soll man bauen auf dem kontaminierten Boden? Die ehemalige Jugendhochschule gehört dem Land Berlin, das die denkmalgeschützten Häuser liebend gern verkaufen möchte. Aber an wen? Ein Hotel ist ebenso gescheitert wie ein Bildungsprojekt, die eher nostalgisch blickenden Ehemaligen würden wohl eine Erinnerungsstätte zimmern wollen - zu wenig. Zumal man ja auch noch den Landsitz des Herrn Goebbels verkraften muss.
Jüngst bemüht sich die Akademie Bogensee GmbH um das Gelände, der „ein breites Nutzungsspektrum mit Bildungsangeboten“ vorschwebt. Ein Konzept wäre jedenfalls hilfreich - vielleicht für ein von unabhängigen Historikern betriebenes Dokumentationszentrum zur Geschichte der deutschen Diktaturen. Aber auch das würde neben Ideen und Arbeitskraft vor allen Dingen viel Geld kosten. Andererseits kann man die Henselmann-Bauten, mag man sie mehr oder weniger lieben, auch nicht so einfach zum Abriss freigeben. Um den Goebbels-Bau wäre es weniger schade, der womöglich noch ein Wallfahrtsort werden könnte für jene, die immer noch nicht genug haben von der unheilvollen Seite der deutschen Geschichte. (mz)