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Bitterfelder Konferenz Bitterfelder Konferenz: Ein Dichter sagte: Das wird ein bitterer Feldweg werden

Von CHRISTIAN EGER 22.04.2009, 17:37

BAD SAAROW/MZ. - Am Anfang war die Wirtschaft - und die hatte ein Problem. Um mehr als 30 Prozent lag die Arbeitsproduktivität der DDR Ende der 50er Jahre hinter der des Weststaates zurück. Das sollte sich ändern. Nicht weniger als ein Wirtschaftswunder erhoffte sich Walter Ulbricht, als er im Gleichschritt mit den Russen 1959 den Siebenjahrplan verkündete. "Chemie" hieß das Zauberwort, "Brot, Wohlstand, Schönheit" das Ziel.

Braunkohle hatte man, Industrieanlagen und Arbeitskräfte. Aber hatte man auch Arbeiter, die kulturell und politisch auf der Höhe der Zeit waren, die eine bessere sozialistische werden sollte? Fragen eines denkenden Funktionärs. Man hatte Hans Bentzien, Jahrgang 1927. Seit 1958 diente der Geschichtslehrer aus Greifswald als Sekretär für Kultur und Bildung bei der SED-Bezirksleitung in Halle.

Gerade hatte der in Moskau geschulte Funktionär ein Festjahr aus Anlass von Händels 200. Todestag einklingen lassen: "Judas Makkabäus" im halleschen Klubhaus der Gewerkschaften, Kammerkonzerte im Saalkreis. Weltkultur, die in die regionale Fläche zog. Nicht kleckern, sondern klotzen. Ulbricht liebt das Klotzen, die großen, die herrlichen Formate.

Mit der Staatstrompete

Bad Saarow, im April. Hans Bentzien ist ein Mann von 82 Jahren. Kein Dogmatiker, auch nicht in Kleidungsfragen: Jeans trägt er, ein Baumwollhemd. Der Bitterfelder Weg? Ach. Bentzien ist kein Plattenspieler, der auf Knopfdruck anspringt. Er ist ein Gesprächspartner, um den man werben muss.

Er war ja dabei, als Ulbricht immer vorneweg war. Und dessen Mitarbeiter: Otto Gotsche, Autor und Sekretär Ulbrichts, der seinem Chef vorschlug, eine längst geplante Autorenkonferenz des Mitteldeutschen Verlages größer aufzuziehen. Alfred Kurella, Leiter der Kulturkommission des Politbüros, der begeistert war. Ulbricht ohnehin: "Daraus kann man mehr machen, das war sein Schlagwort", sagt Bentzien. "Aber wir wussten nicht, was man mehr machen sollte." Wir, das waren Bentzien und Fritz Bressau. Die fragten sich: Wie kriegen wir den Saal voll? "Mit der Staatstrompete", antwortet Bentzien. Zentralkomitee, Schriftstellerverband, das volle Programm.

Bentzien muss ausholen: Die Zeit zeichnen, die er als eine des Aufbruchs erlebte. Nach Tauwetter roch es noch, die Entstalinisierung wirkte fort. "Da ging die Luft, die Leute atmeten. Ganz anders als in den 80er Jahren, als alles fror." Da bewegte sich etwas: Die Bitterfelder Brigade "Mammai" gab die Losung vom sozialistischen Arbeiten, Lernen, Leben aus. Der parteilose Dessauer Tenor Walter Schmidt lud die Brigade ins Anhaltische Landestheater ein. Das war neu: Arbeiter trifft Kultur. Für Bentzien ist Schmidt der eigentliche Begründer des Bitterfelder Weges.

Ein Anruf zur Nacht

Eine Bezeichnung, die er nicht mag. Im Gegensatz zur Tagungslosung von Werner Bräunig: "Greif zur Feder, Kumpel!". Das war in Ordnung, sagt Bentzien. Reichte aber nicht. In der Nacht vor der Konferenz wurde Bentzien von Kurella angerufen. Die Losung müsse um einen zweiten Satz erweitert werden: "Die sozialistische Nationalkultur braucht dich!". Um fünf Uhr morgens suchte Bentzien einen Schildermaler heim. Aber was sollte der Slogan bedeuten? "Wir hatten nie daran gedacht, über eine Laienbewegung hinauszugehen." Am 24. April vor 50 Jahren hob sich der Vorhang im Bitterfelder Kulturpalast: Im Saal 300 schreibende Arbeiter und Volkskorrespondenten, 150 Schriftsteller. Mit von der Partie: Kurt Bartel (Kuba), Willi Bredel, Hans Lorbeer, Hans Marchwitza, Erwin Strittmatter, Inge von Wangenheim. War Stephan Hermlin dabei, der sich schon 1963 als "spätbürgerlicher Schriftsteller" bezeichnen sollte? Nein, sagt Bentzien, das war nichts für den. "In der Akademie gerne, auf dem Lande war er nicht zu sehen."

Worum ging es überhaupt: um eine Veredelung des Proletariats und der schreibenden Klasse? Teils, teils. Die Lage war die, sagt Bentzien: "Der proletarische Verein war weg, und es kam nicht richtig etwas nach." Der Verein: Das waren die klassischen proletarischen Autoren der 20er und 30er Jahre, auch Brecht und Becher waren 1959 bereits tot. "In den 20er Jahren hatten wir die Schriftsteller in die Arbeiterpresse gezogen, sagte Ulbricht. Jetzt hat die Arbeiterklasse die Macht, da machen wir das andersrum." In einer Konferenzpause sagte der Dichter Kuba zu Bentzien: "Das wird ein bitterer Feldweg werden." In der Tat.

Bücher ohne Leser

Die neue Fabrikprosa stapelte sich bald im Dietz-Verlag. "Vorzeige-Literatur", sagt Bentzien. "Nichts für Leser." Die wollten die Problembücher, wollten Erik Neutsch, Christa Wolf, die Reimann. Neutschs Roman "Spur der Steine" wurde dann als Sonderausgabe zur zweiten Bitterfelder Konferenz 1964 hergestellt. Ruhiger, sachlicher als die erste sei die Tagung verlaufen, sagt Bentzien. Wozu aber war die zweite notwendig? "Reine Renommiersucht." In der DDR habe gegolten: Jedes Jahr eine Kulturkonferenz.

Was war Bitterfeld 1959? "Eine durchaus emanzipative kulturelle Aktion zur Unterstützung des ehrgeizigen Chemieprogramms", sagt Bentzien. "Eine Aktion, die ideologisch überfrachtet wurde, aufgerieben zwischen staats- und weltpolitischen Interessen." Und von denen, die er "die Dogmatiker" nennt. "Diese arroganten, blöden Hunde, die auf keinen gehört haben." Funktionäre, die die Begegnung von Kunst- und Arbeitswelt im Restriktiven erstarren ließen. Welches DDR-Buch für ihn am meisten zähle? Brigitte Reimanns Roman "Franziska Linkerhand", sagt Hans Bentzien. Da sei alles drin: der Aufbau, die Arbeit, der Streit. Und die Trauer am Ende.

Kulturhaus Wolfen: heute 18 Uhr Eröffnung des Symposiums "50 Jahre Bitterfelder Weg". Morgen: Tagung 9-19.15 Uhr.