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Biermann-Memoiren Biermann-Memoiren: Autobiografie zum 80. Geburtstag

Von Christian Eger 07.10.2016, 19:22
Wolf Biermann 1970 mit Nina Hagen auf der Berliner Friedrichstraße, fotografiert von der Stasi.
Wolf Biermann 1970 mit Nina Hagen auf der Berliner Friedrichstraße, fotografiert von der Stasi. Archiv/Biermann

Halle (Saale) - Viele werden die Lektüre von hinten beginnen, vom Namensverzeichnis des Buches aus. Neugierig. Getrieben. Wer ist drin? Um beim Zurückblättern zu klären: Warum? Die Aufgeregtheit hat Gründe. Wolf Biermann steht für Klartext, der wehtut, weil er trifft.

Deshalb die Entwarnung: Der Liedermacher, der am 15. November 80 Jahre alt wird, ist mit seiner mehr als 500-seitigen Autobiografie zwar nicht darauf aus, einen billigen Frieden zu schließen, aber er sucht sichtbar keinen neuen Streit.

Ein bisschen Frieden, sozusagen. Kein Enthüllungs-, sondern ein Erklärungsbuch veröffentlicht der Dichter an diesem Sonnabend. Genau in den Fakten, fair im Urteil, tapfer vor sich selbst, was heißt: überraschend selbstkritisch.

Biermanns Memoiren

Ein Buch, das die Jahre von Biermanns Geburt 1936 in Hamburg, wo er heute lebt, bis zur Gegenwart beschreibt. Und das sich bei der Lektüre in drei Teile sortiert. Da ist das sehr eindrückliche erste Drittel, das niemand ohne Mitgefühl lesen wird, das die Herkunft, Kindheit und Jugend des 1953 in die DDR übersiedelten Kommunisten-Sohnes erzählt.

Dem wird im Alter von vier Monaten der Vater entrissen, erst in die politische Haft, dann nach Auschwitz, wo Dagobert Biermann als Jude ermordet wird.

Da ist das zweite Drittel, das die Jahre des Dichters in Ostberlin von seiner Regie-Assistenz am Berliner Ensemble über das Auftrittsverbot seit 1965 bis zur Ausbürgerung aus der DDR 1976 beschreibt.

Grundstürzend Neues ist nicht zu erfahren, das aber ausführlich. Schließlich das Drittel, das Biermann im Westen zeigt, das aber gemessen am Drama des vorab Gebotenen wie unter der Rubrik „Was sonst noch geschah“ nachtrabt. Aber das erste Drittel hat es in sich.

„Weggerissen wurde der Vater mir“: Mit diesen Worten eröffnet Biermann seine Erinnerungen, und diese Lebenstatsache ist Biermanns Grundimpuls als Dichter und Zeitgenosse. An Vaters Stelle zu streiten: für einen nichtautoritären Kommunismus, gegen Stalinisten und Antisemiten.

Seinen ersten öffentlichen Auftritt als Liedersänger hatte Karl-Wolf Biermann im Winter 1940/41. Der Vierjährige sollte seinem im Arbeitslager Teufelsmoor inhaftierten Vater im Besuchsraum etwas vorsingen.

Der Junge schmetterte: „Bomben auf Engellant, Bumm! Bumm!“ Die Mutter später über den Vater: „Er wusste, dass ich Dir schon die richtigen Lieder beibringe. Unsre!“ Immer ist der Sohn dabei. Er kennt die Gefängnisse, das Haftpersonal.

Als seiner Mutter 1942 bei der Gestapo in Bremen eröffnet wurde, dass ihr Mann in Auschwitz gestorben sei, schreit sie auf, fällt in Ohnmacht - dabei hält der Siebenjährige ihre Hand.

Widerstand von Kindesbeinen

Wolf ist fortan der Erbe, der Rächer der Ermordeten. Auch deshalb wird der 16-Jährige 1953 von seiner Familie in die DDR geschickt, in das bessere Land. Die Passagen über die frühe DDR bieten großes Kino.

Bereits 1950 soll der Hamburger Jungpionier beim Deutschlandtreffen der Jugend in Ostberlin den Gruß der westdeutschen Pioniere sprechen, spontan. Jung-Biermann zögert erst. Eine Funktionärin hilft nach: „Darum heißt ja der Gruß unserer Jungen Pioniere: ,Seid bereit – immer bereit!’“ Biermann: „Das leuchtete mir ein.“

Anderes dann schon nicht mehr. Sofort mit der Übersiedlung in die DDR, nach Gadebusch bei Schwerin, kommt es zur Konfrontation. Mitschüler sollen in der Aula feierlich von der evangelischen Jungen Gemeinde abschwören.

Ein Mädchen verweigert den Austritt, sie wird beschimpft, Biermann verteidigt sie vor allen: „Dafür ist mein Vater nicht gestorben, damit hier dieses Mädchen unterdrückt wird.“

Biermanns Großmutter „Meume“ stammte aus Halle

Die Stadt Halle ist in diesem Leben mehr als ein Nebenschauplatz. Aus Halle stammt Biermanns Großmutter, die im Lied verewigte „Oma Meume“, und deren Kommunisten-Familie.

Aus Halle stammt die befreundete Margot Honecker, ein Kommunisten-Kind wie Wolf, auf den sie 1964 zwei Stunden lang einredet: „Ach, Wolf, wenn du weiter den falschen Weg gehst, werden wir Feinde. Aber wenn du den richtigen Weg gehst, mit uns, dann kannst du unser größter Dichter werden.“

War da mehr? Nein, schreibt Biermann. Die Rede über eine angebliche Affäre sei ein gezielt gestreutes Gerücht, eine „nachträgliche Zersetzungsmaßnahme des MfS“. Und da ist das Steintor-Varieté, in dem Biermann 1965 Eva Maria Hagen kennenlernte.

Gemeinsam stieg man aufs Dach, um sich über dem „Paris an der Saale“ den ersten Kuss zu geben. Sieben gemeinsame Jahre folgen, Hagens Tochter Nina ist dabei.

Die DDR erscheint Biermann, der heute die bürgerliche Demokratie lobt, als eine „Menschenbrechmaschine“, als Herrschaft einer SED-Clique über Volk und Partei.

Sogar die Gestapo-Akten über Biermanns Vater versuchte man gegen diesen zu verwenden. Kaum eine Schandtat blieb unversucht. Durch diese Verhältnisse zog Biermann sehr viel ängstlicher als es nach außen hin erschien.

Er wurde in die Konfrontation gestoßen - oft durch Zufall, oft hart an der Überforderung: Aber er bewahrte Haltung.

Mutter Emma, Oma Meume, die Geliebten: Wichtiger als Männer sind stets die Frauen in Biermanns Leben. Das ist in seinem öffentlichen Teil voll von irrwitzigen Pointen: Am Westvertrieb der im Osten verbotenen Lieder verdiente der SED-Staat bis 1976 mit.

Biermann am Sonntag im MDR-Kultur-Café

Nicht etwa der ruhmgeschützte Sänger ging für seine Lieder in den Knast, sondern jene, die sie in der DDR öffentlich verbreiteten. Die größte Wirkung entfaltete Biermann in der DDR, als er nicht mehr dort lebte.

Einreisen durfte er erst nach dem Mauerfall, nicht zur Berliner Großdemo am 4. November 1989. Man könnte es auch so sehen: Die DDR hat den Künstler Biermann bis zuletzt um das Fest seines Lebens betrogen. Aber er zeigte eine Kühnheit und Klarheit, die ein Fest war und bleibt. Wer dieses Buch liest, versteht Biermann ganz.

Im „MDR Kultur-Cafe“ mit Moderator Thomas Bille am Sonntag ab 12.05 Uhr erzählt Wolf Biermann von seinem Leben zwischen West und Ost.

(mz)

Wolf Biermann: Warte nicht auf bessre Zeiten! Propyläen Verlag, 576 Seiten, 28 Euro
Wolf Biermann: Warte nicht auf bessre Zeiten! Propyläen Verlag, 576 Seiten, 28 Euro
Propyläen Verlag