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Bertolt Brecht Bertolt Brecht: Mit dem Mut zum Widerspruch

Von Andreas Hillger 13.08.2006, 17:50

Halle/MZ. - Ideologen und Genießer

Denn das Werk des Lyrikers und Dramatikers, der heute vor 50 Jahren starb, ist durch seine Widersprüche gegen die Gewissheiten der schmallippigen Ideologen wie der vollmundigen Genießer gewappnet - und zugleich zum Missverstehen freigegeben. Wie sonst wollte man erklären, dass der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank am vergangenen Freitag im Berliner Admiralspalast Platz nehmen konnte, um einem arrivierten Anarchisten als Mackie Messer zu applaudieren? Oder dass ein subventionssatter West-Intendant mit der Attitüde des 68ers die Deutungshoheit so selbstgerecht einfordert wie ein dialektisch-materialistisch geschulter Ost-Kritiker?

Josef Ackermann und Campino, Claus Peymann und Ernst Schumacher - sie alle machen sie ein Bild von Brecht, das sich aus dem Werk von Brecht widerlegen ließe. Selbst scheinbar eindeutige Aussagen, wie sie sich im "Lob des Kommunismus" finden, wollen in Kenntnis der Brechtschen Ambivalenz gelesen sein: Der hier die "Ordnung" gegen das "Chaos" feiert, hat auf ein so vernünftiges Prinzip bestenfalls gehofft - aber von der Anfälligkeit solcher Systeme für den Störfaktor Mensch gewusst. Diese Einsicht macht den flirrenden Reiz seiner frühen, kraftstrotzend amoralischen Dramatik aus - und sorgt für die oft holzschnittartigen Lehrsätze seiner späteren Stücke.

Da spricht - spätestens seit der Rückkehr aus dem Exil - einer, der an das Gute glauben und dennoch nicht gutgläubig sein will. Dass er sich offenen Konflikt kaum noch gestattet, ist gewiss kein Zeichen für Feigheit, sondern für Abwägung einer erträglichen Gegenwart gegen die schlimmere Vergangenheit. Brecht, der in späten Jahren mehr Verantwortung als je zuvor übernimmt, will das Bestehende nun aus sich selbst verändern. Und erliegt so am Ende einer Illusion, die er längst überwunden hatte.

"Wir wissen, dass wir Vorläufige sind", hatte er schließlich in seiner romantisierenden Balladen-Biografie geschrieben. "Und nach uns wird kommen: nichts Nennenswertes." Auch diese Widersprüche einer Entwicklung, die den jungen Dichter klüger als den älteren Repräsentanten eines sozialistischen Staates erscheinen lassen, gilt es in vorurteilsfreier Auseinandersetzung mit Brecht auszuhalten.

Perfektion des Glücks

Am treusten aber blieb er sich, wo er die Treue verneinte: in der Liebe und in seinen Gedichten darüber. Man lese seine "Erinnerung an die Marie A." oder den Mahagonny-Song "Sieh jene Kraniche", um die Perfektion des Glücks aus dem Wissen um seine Endlichkeit zu erfahren. Und wenn man dieses Verständnis aus dem privaten in den politischen Bereich überträgt, wird man auch den Begriff der Verbesserung verstehen, den Brecht so gern gebraucht - als Annäherung an ein unerreichbares Ideal des Guten.

Diese dem Werk innewohnende Skepsis setzt all jene ins Unrecht, die sich nun wieder selbstgewiss am Denkmal des Dichters aufrichten - Claus Peymann mit seiner These von der "Antwort auf die Verblödung des deutschen Theaters" ebenso wie Ernst Schumacher mit seinen Memoiren unter dem unsäglichen Titel "Mein Brecht". Die Herren Ackermann und Campino aber mögen sich bei der berühmten Zeile "Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank" beide angesprochen gefühlt haben. Doch Brecht lacht zuletzt.