Berlin Berlin: Kunsthaus Tacheles kommt unter den Hammer
Berlin/dapd. - Die Treppenhäuser, die zu den Galerien undAteliers führen, sind voll mit Graffiti und Aufklebern. Aber auchmarode Bausubstanz und Urin-Geruch schrecken die Touristen nicht ab,die zwischen ihren Besuchen an Sehenwürdigkeiten wie CheckpointCharlie und Brandenburger Tor offenbar einen Hauch von BerlinerUntergrund suchen.
Doch damit könnte bald Schluss sein. Für Montag (4. April) istdie Zwangsversteigerung angesetzt für das denkmalgeschützte Haus inder Oranienburger Straße, das in keinem Reiseführer fehlt. Mitsamteinem rund 25.000 Quadratmeter großen Grundstück - der Verkehrswertwird auf 35 Millionen Euro beziffert. Das Areal ist eine der letztengroßen Brachen in der Berliner City. Wo im Sommer bislang dieTouristen das Flair der einstmals geteilten Stadt genießen und dabeiauch viel Geld lassen, könnte bald ein neues hochpreisiges Quartierentstehen - so wie es Investor Anno August Jagdfeld bereits in den90er Jahren geplant hatte, aber nicht umsetzen konnte.
Künstlerinitiative besetzte 1990 Kaufhausruine
Die Geschichte des Kunsthauses begann 1990 mit der Besetzung derunweit des Tränenpalastes gelegenen Ruine. Ursprünglich sollte dasGebäude gesprengt werden, doch der «Runde Tisch» beschloss inletzter Sekunde einen Aufschub. Zwei Jahre später wurde dieehemalige Friedrichstraßenpassage unter Denkmalschutz gestellt. ImJahr 1995 verkaufte die Treuhand das Areal an eineTochtergesellschaft der Fundus-Gruppe. 1998 wurde ein zehnjährigerMietvertrag mit den Nutzern geschlossen - die symbolischeMonatsmiete betrug 50 Cent.
Die Veräußerung des Areals 1995 erfolgte über einen sogenanntenInvestitionsvorrangbescheid, da für die Grundstücke nochRestitutionsansprüche jüdischer Erben vorlagen. Die Investorenverpflichteten sich, auf dem Gelände rund 32.450 QuadratmeterWohnfläche zu errichten und die bauliche Voraussetzung für dasEntstehen von knapp 1.000 Arbeitsplätzen zu schaffen. Dazu kam esaber nie. Die Tochtergesellschaft wurde zahlungsunfähig und diemehrheitlich den Ländern Hamburg und Schleswig-Holstein gehörendeHSH Nordbank leitete 2008 als Gläubigerin die Zwangsversteigerungein, um ihr Geld zurückzubekommen.
In dem nicht erfüllten Investitionsvorrangbescheid sieht dieGruppe Tacheles, neben dem Tacheles Verein einer von zweiZusammenschlüssen im Haus, den rettenden Strohhalm. Ihrer Ansichtnach hätte der Bund spätestens 2008 das Gelände zurückfordernmüssen.
Künstler wollten Haus kaufen
Um die Tacheles-Zwangsversteigerung durch die HSH Nordbank imletzten Moment zu verhindern, zeigte die Gruppe Tacheles sogar denBundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wegen Veruntreuung an.Zuvor hatten sie ein Kaufangebot für das Haus und einen Teil desAreals unterbreitet, was die HSH Nordbank aber ablehnte.
Der Tacheles Verein sieht der Versteigerung dagegen positiventgegen. Damit biete sich die Möglichkeit, eine langfristige Lösungzu finden, sagte Sprecherin Linda Cerna. Der Verein fordert, dassauch der Berliner Senat mitbietet. Das Gelände könne zum«Schnäppchenpreis» erworben und in einer Public-Private-Partnershipentwickelt werden, sagte Cerna. Das Tacheles solle langfristig ineine Stiftung überführt werden.
Bei der Zwangsversteigerung am Montag vor dem Amtsgericht Mittewollen die Künstler ein Zeichen des Protestes setzen. DieVereinssprechern sagte: «Wir werden vor dem Gerichtsgebäude inkreativer Art und Weise zeigen, wofür wir stehen.» In den 30Ateliers des Kunsthauses arbeiten bis zu 100 Künstler.