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Behutsames Porträt einer entwurzelten Familie von Aliza Olmert

Von Ines Bellinger 10.09.2007, 11:53

Hamburg/dpa. - Irgendwohin gehören. Das ist alles, was Anuschka, Olek und ihre kleine Tochter Alusia wollen, als sie 1949 im «Gelobten Land» ankommen. Sie sind Holocaust-Überlebende, die das Schicksal jahrelang durchs Leben schubste: aus ihrer Heimat Polen ins Arbeitslager nach Sibirien, zurück nach Polen, ins Auffanglager nach Deutschland und schließlich in den jungen Staat Israel.

Doch die Suche nach einem neuen Flecken Heimat bringt die jüdische Familie an ihre Grenzen. Keiner findet einen Ankerplatz: Der Vater nicht, der zwar optimistisch ist, sich aber ohne Aussicht auf Erfolg in die Idee verbeißt, mit gestohlenen Metallschnallen aus Wehrmachtbeständen ein großes Geschäft aufzuziehen. Die Mutter nicht, die dem täglichen Leben in dem fremden Land mit Ablehnung begegnet und sich in ihrer Trauer um die zurückgelassenen toten Verwandten beinahe selbst aufgibt. Und die fünfjährige Alusia nicht, die sich zwar schneller als ihre traumatisierten Eltern auf die neue Umgebung einlässt, aber das vermisst, was für ein Kind so wichtig ist: Liebe und Aufmerksamkeit.

Aliza Olmert hat in dem autobiografischen Roman «Ein Stück vom Meer» ihre Kindheitserinnerungen verarbeitet. Die Frau des israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert wurde 1946 in einem Auffanglager in Eschwege (Hessen) geboren und kam Ende der 40er Jahre mit ihren Eltern nach Israel. Die Mutter von vier Kindern gehört zu den renommiertesten und vielseitigsten bildenden Künstlern des Landes: Sie ist Malerin, Bildhauerin und Autorin, verfasste Drehbücher und Dramen. Mirjam Pressler und Eldad Stobezki haben ihren Debütroman von 2001 aus dem Hebräischen ins Deutsche übersetzt.

Aus der Perspektive von Alusia, die nichts von den Grauen der Vergangenheit weiß und die Probleme ihrer Eltern deshalb auch nicht versteht, erzählt Aliza Olmert die Geschichte ihrer entwurzelten Familie. Sie schreibt detailgenau, wertfrei und in einer klaren Sprache, aber dennoch so behutsam, dass man als Leser seine schützende Hand über diese fragile Familie legen möchte.

Die Zuversicht ihrer starken kleinen Tochter ist es, die Anuschka und Olek rettet. Mit gespielter Leichtigkeit bemüht sich das Mädchen, die Schwere fortzuschieben, die über dem alten arabischen Festsaal liegt, in dem sie einquartiert worden sind. «Es darf keinen Zweifel geben: Das Mädchen ist fröhlich. Wirklich fröhlich. Sehr fröhlich, richtig glücklich. Wer in einem Freudensaal lebt, von dessen Badezimmerfenster aus ein Stück vom Meer zu sehen ist, muss sehr glücklich sein.» Es ist nur ein Fitzelchen vom Ozean, das Alusia erspähen kann - und auch nur, wenn sie auf den Schultern ihres Vater aus dem Badezimmer späht. Doch es reicht, um ihre Fantasie zu beflügeln.

Aliza Olmert empfindet ihre Kindheit heute noch als sehr einsame Zeit, doch sie hat sie geprägt. Die Zeit der Entbehrungen habe ihre künstlerische Kreativität geweckt, sagt sie über sich. Sie hat sie Demut gelehrt («Sei dankbar für das Wenige, das du hast»), Unabhängigkeit und Stärke. Ihre Rolle als First Lady hat die linksorientierte 61-Jährige nur widerwillig angenommen. Frank und frei gab sie zu, bei den Wahlen 2006 erstmals für die Partei ihres Mannes gestimmt zu haben. Wer Aliza Olmert live erleben möchte, sollte sich ihre Lesungen im Jüdischen Museum in Berlin (17.9.), im Kaisersaal Erfurt (18.9.), im Literaturhaus München (19.9.) und in der Stadtbibliothek Offenbach (20.9.) nicht entgehen lassen.

Aliza Olmert: Ein Stück vom Meer

Aufbau-Verlag, Berlin

367 S., Euro 19,95

ISBN 978-3-3510-3219-7