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BAP-Frontmann im MZ-interview BAP-Frontmann im MZ-interview: Wolfgang Niedecken: "Et ess lang her"

Von André de Vos 24.01.2016, 19:46
Wolfgang Niedecken ist seit 40 Jahren Frontmann der Kölner Mundart-Band BAP.
Wolfgang Niedecken ist seit 40 Jahren Frontmann der Kölner Mundart-Band BAP. marius becker/dpa Lizenz

Köln - Eine der dienstältesten Bands der deutschen Rockgeschichte ist die Kölner Mundartband BAP, die jetzt mit „Lebenslänglich“ ein neues Studioalbum veröffentlicht hat. Seit den Anfangstagen immer festes Mitglied ist Sänger und Gitarrist Wolfgang Niedecken (65), von dem André de Vos wissen wollte, wie man über eine so lange Zeit Rockmusik produzieren kann, die textlich immer noch den Puls der Zeit trifft.

Das neue Werk hat 14 Songs mit 66 Minuten Laufzeit. Das ist relativ viel Material. Über welchen Zeitraum sind die ganzen Lieder zusammengekommen, so dass jetzt ein kohärentes Album daraus wurde?

Niedecken: In Rekordzeit! Ich habe den ersten Text im Oktober 2014 geschrieben. Insgesamt umfasste die Zeit, in der ich die Texte geschrieben habe, vier Monate! Und im Mai 2015 sind wir dann ins Studio gegangen und haben aufgenommen. Also so schnell sind mir noch nie die Texte für ein komplettes Album eingefallen. Vor allem am Anfang habe ich noch gedacht, ich hätte Ladehemmung. Was natürlich Quatsch war, denn ich hatte überhaupt keine Ladehemmung. Ich hatte nur noch nicht die Antennen ausgefahren. Das war alles.

In dem Lied „Dä Herrjott meint et joot met mir“ singen Sie sinngemäß, dass Sie eine Band haben, die immer noch rockt. Es gibt viele Gruppen, die rocken nicht mehr. Wie ist das mit der altersbedingten Ermüdung? Fühlt man sich irgendwie leergespielt? Warum werden die altgedienten Bands oft langsamer?

Niedecken: Rock hat ja nichts mit Schnelligkeit zu tun. Rock’n’Roll ist eher eine Lebenseinstellung. Ich finde, dass Johnny Cash selbst in den langsamsten Balladen immer noch tierisch rockt. Dieser Kerl hat immer gerockt. Und es gibt Bands, die sich bemühen, schnelle Achtel hintereinander zu spielen, aber leider überhaupt nicht rocken. Das hat mit Geschwindigkeit überhaupt nichts zu tun. Das ist eine innere Einstellung, ob was rockt oder etwas nicht rockt. Wenn man das missversteht, dann hat man ein Problem. Dann macht man alle Songs ein paar Beats schneller und dann rocken die vermeintlich, was ja Quatsch ist. Aber diese Einstellung am Leben zu halten, diesen Spirit, dazu muss man auch sehr, sehr ehrlich zu sich sein.

Wie haben Sie den Geist des Rock’n’Roll in der Band erhalten?

Niedecken: Indem wir es gewagt haben, die Besetzung zu ändern, wenn bei einem zu erkennen war, dass der eigentlich gar nicht mehr will. Da muss man fragen: „Warum bist du eigentlich noch in der Band?“ Oder wo Ex-Musiker gesagt haben: „Ich will nicht mehr so oft von zu Hause weg sein.“ Wir sind ja alle anders. Wir sind ja alle unterschiedlich drauf. Oder wenn welche in eine andere Richtung wollten.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?

Niedecken: Wenn jemand internationale Popmusik auf Englisch machen will, wie damals der langjährige Gitarrist Klaus Heuser. Das kann er halt mit mir nicht machen. Da hat er die Band verlassen. Es war schade, denn ihm verdanken wir ganz viel. Der hat ganz viel beigetragen zum Gelingen dieser Band. Aber irgendwann gehen im Leben von allen die Wege auch einmal wieder auseinander. Das muss man aber auch zulassen. Und wenn man das nicht zulässt, läuft man Gefahr, dass man mit lauter lebenden Toten auf der Bühne steht, die resigniert haben.

Sie haben jetzt wieder ein Lied über Ihren Vater geschrieben, „Et ess lang her“. Sehen Sie Ihren Vater heute mit anderen Augen als in früheren Jahren oder war das eine normale Entwicklung?

Niedecken: Ich habe ja schon als ich „Verdamp lang her“ geschrieben habe meinen Vater anders gesehen. Es hat mir sehr leid getan, dass wir nicht mehr miteinander reden konnten. Und jetzt habe ich eben die Geschichte von „Verdamp lang her“ noch einmal erzählt, wie das Lied eigentlich zustande gekommen ist, was ja auch irre ist.

Nämlich wie?

Niedecken: Ich habe dieses Lied an einem Rosenmontag in einem verschneiten fränkischen Dorf geschrieben, weil ich mich vor Karneval gedrückt habe (lacht). Ich bin mit meiner Kasten-Ente irgendwo in einen Ort zwischen Nürnberg und Rothenburg ob der Tauber gefahren. Da habe ich endlich einmal dieses Lied für meinen Vater schreiben können, „Verdamp lang her“, und diese Geschichte erzähle ich jetzt in einer Country-Ballade.

Sie sind ein Mensch, der viele politische Aktivitäten gestartet hat. Sowohl mit „Arsch huh, Zäng ussenander“ als auch mit Ihren „Dritte Welt“–Aktionen mit Rebound. Aber gleichzeitig singen Sie auf der neuen CD im Stück „Alles relativ“, „dass das Eis der Zivilisation dünner wird“. Das heißt doch letztlich, dass die ganzen politischen Aktivitäten nicht mehr so viel wert sind, wie man einst dachte?

Niedecken: Da halte ich mich an Luthers Apfelbäumchen. So lange wir können, müssen wir weitermachen. Natürlich ist das irgendwo melancholisch, klar, aber ich habe mir fest vorgenommen, weder zu resignieren noch jemals zynisch zu werden. Und ich finde auch, dass das nicht geht. Und wenn man Kinder in die Welt setzt, ist das einfach verboten. (mz)