Bad Karlshafen Bad Karlshafen: Stadt für Flüchtlinge gegründet - Heute sorgen Migranten für Unmut

Bad Karlshafen - Wer meint, in Deutschland gäbe es, abgesehen von jüngsten, unerfreulichen Zeugnissen zorniger Aufstampfens, das mancher mit Bürgersinn verwechselt, nichts mehr zu entdecken, irrt. Bad Karlshafen im Weserbergland ist ein wunderbares Beispiel dafür. Obschon ein Kleinod barocker Gesamtarchitektur, ist die kleine Stadt im nördlichen Zipfel Nordhessens von allen deutschen Planstädten, also jenen Orten, die am Reißbrett entstanden sind, vielleicht die am wenigsten bekannte.
Bad Karlshafen ist die unbekannteste Planstadt Deutschlands
Wolfsburg und Eisenhüttenstadt, auch Hoyerswerda und Halle-Neustadt fallen einem bei diesem Thema natürlich rasch ein, der reisefreudige Bürger wird unter den früheren Beispielen auch das klassiszistische Putbus auf Rügen, Neuruppin, dessen Anlage auf das 13. Jahrhundert zurückgeht, und das barocke Oranienbaum nennen können. Aber Bad Karlshafen, an der Mündung der Diemel in die Weser gelegen, hat man eben nicht auf dem Schirm.
Dabei hat der kleine, nur wenig mehr als 3.000 Seelen zählende Ort (die Kurgäste des 1838 begründeten Sole-Bades nicht eingerechnet) vor einem Jahr kurzzeitig , überregionale Aufmerksamkeit erlangt. 22,4 Prozent der abgegebenen Stimmen sollten bei der hessischen Kommunalwahl am 6. März 2016 ersten Prognosen zufolge auf die AfD entfallen sein, die Deutsche Presse-Agentur illustrierte die Nachricht mit einem symbolträchtigen Foto des von Unkraut überwucherten, leeren Hafenbeckens, das mitten in die Stadt ragt. Focus Online griff den Fall auf und machte ihn weithin bekannt.
Satter Erfolg für die AfD bei der letzten Kommunalwahl
Am Ende waren es dann nur 14 Prozent AfD-Stimmen - immer noch ein satter Erfolg. Der ging im Wesentlichen auf eine Kampagne zurück, die sich die verbreiteten Sorgen wegen der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung zunutze machte. Auch in Bad Karlshafen waren, gemessen an der Bevölkerung, viele Geflüchtete untergebracht worden, 240 an der Zahl, wie der Bürgermeister dem Focus sagte: „Das sorgt bei einigen für Unmut und das zeigt sich jetzt beim Wahlergebnis.“ Und die kommunalpolitischen Themen blieben, wie vielerorts, außen vor.
Dabei hat es sie gegeben, das noch immer nicht sanierte Hafenbecken ist nur eines davon. Überhaupt wirkt die Stadt in all ihrer unübersehbaren Schönheit ein wenig wie eine verwunschene Prinzessin aus einem Märchen der Brüder Grimm, die dringend wachgeküsst werden müsste. Die dunklen, geheimnisvollen Wälder der lange in Kassel beheimateten Grimms liegen übrigens gleich nebenan.
Anlass für die Stadtgründung war eine europäische Flüchtlingsbewegung
Einige der traditionell weißgetünchten Fassaden in Bad Karlshafen haben schon ein wenig Patina angesetzt, einige Häuser stehen leer. Gleichwohl überwiegt der Charme des Ortes, den der hessische Landgraf Carl ab 1699 errichten ließ und der zunächst Sieburg hieß. Zu Ehren ihres Gründers wurde die Stadt 1717 schließlich in Carlshafen umbenannt.
Den Anlass für die Stadtgründung hat übrigens eine europäische Flüchtlingsbewegung gegeben, was die aktuellen Probleme in ein interessantes historisches Licht rückt: Die ersten Bewohner des heutigen Bad Karlshafen waren Hugenotten - also Franzosen, die wegen ihres protestantischen Glaubensbekenntnisses in ihrer Heimat grausam verfolgt wurden und denen Landgraf Carl zu Hessen eine neue Heimat bot.
Hugenotten sorgten für wirtschaftlichen Aufschwung
Die Geflüchteten jener Jahre brachten Handwerksberufe mit, die in Deutschland seinerzeit unbekannt waren, zum Beispiel waren die Ankömmlinge Strumpfwirker, Handschuh- und Hutmacher. Von dieser Geschichte zeugt seit 1980 das Deutsche Hugenottenmuseum Bad Karlshafen, das mit zahlreichen Exponaten und Dokumenten auf drei Etagen die historischen Hintergründe der Hugenotten und ihrer Verfolgung, aber auch ihre Integration in Deutschland beschreibt. Mithin ist dieses Haus ein Ort staatsbürgerlicher Bildung schlechthin und gewinnt im Lichte der gegenwärtigen Lage noch zusätzlich an Bedeutung.
Die ungeliebten Protestanten wurden seit dem 16. Jahrhundert im katholischen Frankreich als „lichtscheue Elemente“ angesehen, die sich angeblich nur nachts im Geheimen versammelten, um Anschläge und Verschwörungen auf die Staatsmacht und die Kirchenvertreter zu planen.
Einige Übergriffe seitens der protestantischen Bilderstürmer
Tatsächlich ist es seitens der protestantischen Bilderstürmer auch zu einigen gewaltsamen Übergriffen, etwa auf Klöster, gekommen - die Grausamkeit, mit der die Abtrünnigen verfolgt wurden, rechtfertigt dies aber in keiner Weise.
In der Obhut mehrerer europäischer Länder und Städte, darunter Berlin und eben auch das Gebiet des hessischen Landgrafen Carl, konnten die Vertriebenen sowohl ihren Glauben als auch ihre Kultur pflegen und gewannen rasch Anerkennung. Überhaupt ist das Wirken des an Wissenschaften wie der Wirtschaft interessierten Carls (oder Karls), der freilich auch mit Soldatenhandel Geld verdiente, einiger Ehren wert - was auch für sein unvollendetes Kanalprojekt gilt. Dem ist der Stadthafen zu danken, von dessen Glanz Bad Karlshafen nach der Sanierung des Beckens im nächsten Jahr auch touristisch wieder profitieren dürfte.
Ursprünglich war der Hafen dazu gedacht gewesen, um die Nordspitze von Carls Landgrafschaft mit Kassel zu verbinden, um das Stapelrecht in der nahe gelegenen niedersächsischen Stadt Hann. Münden zu umgehen. Es ging also um Sparsamkeit, allerdings kam das Bauprojekt nur ganze 17 Kilometer weit voran und wurde nach Carls Tod im Jahre 1730 eingestellt. (mz)