Autobiografie von Hape Kerkeling Autobiografie von Hape Kerkeling: Der Junge der trotzdem lacht

Mit seinem ersten Buch - „Ich bin dann mal weg“ - gelang Hape Kerkeling ein Bestseller, eine Art spiritueller Reiseführer, so simpel wie erfolgreich. Jetzt hat der 49-Jährige wieder ein Buch geschrieben. In „Der Junge muss an die frische Luft“ geht es um die eigene Kindheit und den Tablettenselbstmord seiner Mutter, den Kerkeling aus nächster Nähe miterleben musste. Diese Biografie ist ein so einfach geschriebenes wie schlicht anrührendes Werk. In den besten Momenten hält sich beides die Waage.
Kerkeling beschreibt bis zum zentralen Drama auf rund 200 sehr langen Seiten eine überaus sonnige Kindheit in der Provinz am Rande des Ruhrgebiets, wo die Swinging Sixties sich höchstens in Radiosendungen manifestierten. Das Leben findet statt zwischen dem Kramlädchen einer Tante, blühenden Landschaften und einer resoluten und gegen sich selbst unerbittlichen Gemeinschaft von Frauen, die das Familienleben der Kerkelings dominiert.
Weder besonders ehrgeizig noch sozial auffällig
Eingebettet in dieses schützende Matriarchat wächst der kleine Hans-Peter auf, Mutter, Oma und robuste Tanten zeichnen sich durch unerschütterlichen Humor, Tatkraft und bebendes Lachen aus. Sich selbst verortet Kerkeling, dabei bescheiden bis an die Grenze der Eitelkeit, im zwischenmenschlichen Mittelfeld: ein quietschfideler Brocken, sympathisch, weder besonders ehrgeizig noch sozial auffällig. Das ist Kerkelings Kunst, damit hat er später Millionen erfreut. Total normal hat er eine Art glucksenden Volkshumor betrieben - ohne bösartige Scherze.
Die Frage, die sich stellt, ist, warum der Entertainer, der nie etwas falsch zu machen schien, dessen Beliebtheitswerte weder durch Zwangsouting noch jahrelange Pausen Schaden nahmen, nun ein Buch vorlegt, das den Suizid der Mutter zum zentralen Thema macht. Bis das Drama seinen Lauf nimmt, helikoptert Kerkeling humorvoll über die bis dahin flache Landschaft der eigenen Vita.
Keine besonderen Vorkommnisse trüben das Sein. Nicht einmal die eigene Homosexualität, deren Entdeckung zwischen rheinischem Katholizismus und biederer Kleinbürgerlichkeit durchaus eine Zäsur dargestellt haben muss, ist mehr als der willkommene Anlass, sich zum Karneval als Prinzessin zu verkleiden. Kerkeling eilt dem Drama fast atemlos entgegen, es wirkt, als ob es ihn drängt, endlich zu dem Punkt zu kommen, der nicht nur der tiefste in seinem bisherigen Leben, sondern auch jener neuralgische Punkt ist, an dem sich die weitere Laufbahn des kleinen Hans-Peter entscheidet: Das Talent, der Katastrophe durch Humor zu entkommen, hat hier seinen Ursprung. Die über chronischer Krankheit und familiärer Überforderung depressiv gewordene Mutter ist nur noch durch die Späße des Sohnes erreichbar. Kerkeling wird zu dem Clown, den er später perfektioniert, dem der Humor geholfen hat, das Trauma zu überwinden, soweit es geht.
Als die Mutter sich das Leben nimmt, neben dem verstörten und hilflosen Sohn im Bett liegend, hält die Erzählung inne, um nach einem endlosen, heiter-schaumigen Palaver dem Erlebten kurz Raum zu geben. Das Kind wirkt gebrochen, die Familie steckt in der Krise, die sich lange andeutete und gegen die nichts unternommen wurde. Allein die Großeltern Kerkelings und ein paar nicht minder patente Randfiguren geben dem Heranwachsenden Halt, unterstützen, behüten und fördern ihn. Hape Kerkeling meistert so das Unfassbare, das Schlimmste, was einem Kind widerfahren kann.
Das Bedürfnis nach Harmonie
Damit ist dieser Tiefpunkt abgehandelt, und der Biograf nimmt nach diesem berührenden Moment wieder Fahrt auf, bemüht Bibelmotto und Dalai-Lama-Begegnungen, um zu erläutern, wie im weiteren Leben verfahren wurde. Nachdem Kerkeling anekdotisch dem Drama entgegengeprescht war, nivelliert er es im Anschluss durch seine zwanghafte Harmoniesucht, die sich leider auch in der eintönigen Erzählweise niederschlägt.
Lässt man all das joviale Geplapper, von dem es in dem Buch überreichlich gibt, beiseite, so zeigt sich das Bild eines Menschen, der mittels Talent und einem großen Bedürfnis nach Harmonie aus den Schrecken seiner Kindheit die Kraft und Inspiration für eine außergewöhnliche Karriere gezogen hat. Dass man nicht mehr erfährt, ist legitim. Ein Buch dieses Umfangs hätte es dafür nicht gebraucht. (mz)
