Autobiografie Autobiografie: Thomas Quasthoff über seine Karriere
Berlin/dpa. - Der Bariton Thomas Quasthoff ist erst 45, doch erlebt hat er längst genug, um spannend davon zu erzählen. Denn sein Weg auf die bedeutendsten Konzertpodien der Welt war noch steiniger als ohnehin in diesem Metier üblich - und außergewöhnlich.
Als kleinwüchsigem Contergan-Geschädigten ohne Arme räumte man ihm zunächst keinerlei Chance ein, je seine Brötchen als Konzertsänger verdienen zu können. Wie er es mit seinem enormen Talent, Zähigkeit und der unermüdlichen Förderung seiner Eltern dennoch an die Weltspitze der Sängerelite schaffte, schildert Quasthoff zumeist sehr unterhaltsam in seiner Autobiografie «Die Stimme».
Vor allem der erste Teil ist aufschlussreich und spannend: Quasthoff berichtet von seinen schwierigen Kinderjahren im Streckbett und im Behinderten-Internat, von seinen ersten Gesangsstunden, ersten kleinen Erfolgen und vielen Rückschlägen. Die Ärzte bezweifelten, dass er je würde laufen können. Dank der Beharrlichkeit und Findigkeit seiner Eltern, die ihm eine Art Laufgerüst bastelten und mit Klein-Tommi gehen übten, belehrte er die Doktoren jedoch eines Besseren. Sadistische Quälereien später im Internat prägten den Jungen tief. Es dauerte lange und kostete seine Eltern jede Menge Überzeugungskraft, bis sie den körperbehinderten Sohn endlich auf einer «normalen» Schule unterbringen konnten. Sie waren es auch, die sein Gesangstalent erkannten und förderten.
Vielfach kolportiert ist, dass die Musikhochschule Hannover dem heutigen Weltklasse-Sänger ein Gesangsstudium mit der Begründung verwehrte, er könne - ohne Arme - ja nicht Klavier spielen. So machte er zunächst einen Umweg über Jurastudium, Sparkassenjob und Kabarett, ehe er sich schließlich durchrang, sein Hobby Gesang zum Hauptberuf zu machen. Natürlich fehlt die Episode mit der Hochschule nicht in seinem Buch, auch wenn es Quasthoff andererseits verständlicherweise nervt, wenn in Konzertkritiken und Berichten immer wieder auf seiner Behinderung herumgeritten wird. Aber natürlich weiß er selbst, dass ihn genau diese körperliche Beeinträchtigung von anderen Musikern unterscheidet und deswegen von den Medien immer wieder thematisiert wird. Wer ihn zum ersten Mal auf die Bühne kommen sieht, trägt nun mal diesen «Nanu, der soll singen können?»-Gedanken in sich - und traut dann kaum seinen Ohren, wenn Quasthoff die ersten Töne singt.
«Ich kann auf der Bühne keinen schicken Frack tragen, ich mache nichts her, mein Körper ist klein und unscheinbar, und für die beeindruckenden Gesten fehlen mir die Extremitäten», sagt Quasthoff über sich. Er zieht sein Selbstbewusstsein aus der Tatsache, dass er auf Dauer wohl kaum nur auf einem Behinderten-Ticket hätte fahren können: «Jemand, der aussieht wie der Glöckner von Notre-Dame, mag eine Saison lang als Kuriosität durchgehen, auf die Dauer akzeptiert das Publikum einen Künstler nur, wenn die Qualität stimmt, wenn er etwas zu sagen hat.» Auch als Lehrer ist Quasthoff gefragt: Derzeit bereitet er seinen Umzug von Hannover nach Berlin vor, wo er an der Musikhochschule «Hanns Eisler» lehrt. Zuvor war er Gesangsprofessor in Detmold.
Die zweite Hälfte des Buches, in der Quasthoff Anekdoten aus seinem Leben als um die Welt jettender Konzertsänger erzählt und fleißig Namen der weltberühmten Dirigenten und Musiker einstreut, mit denen er schon konzertierte, ist dann nicht mehr ganz so einzigartig. Derlei kennt man schon aus anderen Musiker-Autobiografien. Zudem ist auch der sich bescheiden gebende Quasthoff wie viele seiner Künstlerkollegen nicht ganz vor Selbstbeweihräucherung gefeit. Sein ironisch-humoriger Plauderton - in Schriftform gegossen von seinem Bruder Michael - macht das Buch dennoch flott lesbar, und Quasthoff-Fans werden manche wenig bekannte Seite an dem berühmten Sänger entdecken.
Thomas Quasthoff
Die Stimme - Autobiografie
Aufgezeichnet von Michael Quasthoff
Ullstein Verlag, Berlin
336 S., Euro 24,00
ISBN 3-550-07590-1