Ausstellung Ausstellung: Zeitgesicht gewinnt Kontur im Spiegel der Kunst
NÜRNBERG/MZ. - Berlin und Nürnberg trennen 436 Kilometer, aber beide verbindet die Geschichte auf besondere Weise: Berlin, die alte und wiedergewonnene Hauptstadt als einstige Schaltstelle der NS-Machthaber, Nürnberg als Ort der gigantischen Reichparteitags-Spektakel und der schändlichen Rassengesetze von 1935.
Unterschiedliche Ansätze
Beide Städte, schwer kriegszerstört die eine wie die andere, warten in diesem Frühjahr mit Kunstausstellungen auf, die sich der Zeit des deutschen Neubeginns widmen - allerdings mit extrem unterschiedlichen Ansätzen. Die Berliner Schau "Sechzig Jahre, sechzig Werke", die noch bis zum Sonntag im Gropius-Bau gezeigt wird, ist stark beachtet und zu Recht auch heftig angegriffen worden wegen ihres einseitig auf das Repräsentative der freien Kunst des Westens gerichteten Auswahlprinzips (die MZ berichtete). DDR-Künstler hingegen werden dort erst nach der Zäsur der friedlichen Revolution von 1989 wahrgenommen.
Die Nürnberger Ausstellung ist eben erst, Ende Mai, eröffnet worden und wird noch den ganzen Sommer über zu sehen sein. "Kunst und Kalter Krieg" ist sie programmatisch, wenn auch die Perspektive etwas verengend überschrieben, der Untertitel indes weist endlich auf das Eigentliche und Besondere: "Deutsche Positionen 1945-89".
Ausgebreitet in zwei Sälen des Germanischen Nationalmuseums und begleitet von einem umfangreichen Veranstaltungsprogramm, gelingt es der Schau, einen sehr sachlichen, niemals tendenziösen und oft überraschenden Parallel-Blick auf die künstlerischen Entwicklungen in beiden Teilen Deutschlands zu werfen. Dies geschieht vor dem zeitgeschichtlich-politischen Hintergrund der Bundesrepublik und der DDR, die sich nach den Schrecken und Wirren von Krieg und Nachkrieg zunehmend gegensätzlich entwickelten - natürlich auch entsprechend ihrer jeweiligen Bindung an die westliche Demokratie und die ideologisch überformte Hegemonie der stalinistischen und poststalinistischen Sowjetunion.
Selbstverständlich gibt es Schnittmengen zwischen der Berliner und der Nürnberger Schau: Werke von Georg Baselitz, Joseph Beuys, Anselm Kiefer, Gerhard Richter - aber auch von Wolfgang Mattheuer finden sich hier wie dort. Interessant ist indes, wie man in Nürnberg den bildlichen Gegenbeweis zur These antritt, im Osten sei freie Kunst per Dekret unmöglich gewesen: Arbeiten international namhafter, unangepasster "Querköpfe" wie Gerhard Altenbourg und Carlfriedrich Claus stehen dafür. Das hat man, nicht nur im Osten, immer wissen können - in Nürnberg kann man es nun aber auch sehen. Hinzu kommen Entdeckungen oder Wiederentdeckungen wie die des Leipziger Fotografen Matthias Hoch, von dem unter anderem ein 1988 entstandener Blick in ein schimmliges Selbstbedienungs-Lokal auf dem halleschen Hauptbahnhof gezeigt wird: ein Bild, das allein die Agonie der DDR präzise und vollkommen gültig zu beschreiben vermag.
Ermutigende Gelassenheit
Die Schau will das Ganze in Teilen zeigen - Vergleichbares wie Unterschiedliches, das auch in knappen Erklärtexten und im umfangreichen Katalog (erschienen bei DuMont) benannt wird. Ein Ansatz, der die Gelassenheit schafft, zugleich das oft diskret Verschwiegene ohne Scheu zu zeigen - zum Beispiel propagandistische Ost-Gemälde der 50er Jahre. Aber eben auch nicht in auftrumpfender Geste, wie es 1999 in der umstrittenen Weimarer Schau zur DDR-Kunst geschehen war. Und es finden sich neben einem Sitte-Gemälde auch weitere, quasi konstituierende Werke der DDR-Kunst, belegt durch Entwürfe von Fritz Cremers Buchenwald-Denkmal und Werner Tübkes Panorama-Gemälde für die Bauernkriegsgedenkstätte in Bad Frankenhausen. Selbst hier wird noch der Feinheiten gedacht; Cremers Gruppenplastik, ist zu lesen, war von der Obrigkeit verworfen worden, weil sie den Genossen nicht kämpferisch genug erschien.
Im Übrigen kontrastiert die Figurengruppe auf sprechende Weise etwa mit Gerhard Richters 1965 entstandenem Gemälde "Onkel Rudi", das die Hybris deutscher Familiengeschichten zum Thema hat: Der Mann im Uniformmantel mag ein geliebter, wohl auch liebenswerter Verwandter gewesen sein. Aber er war auch ein Täter.
Bis zum 6. September, Di-So 10-18,
Mi 10-21 Uhr, Mo geschl.; Eintritt: 6, ermäßigt 4 Euro, Mi ab 18 Uhr frei; Katalog: 32 Euro.