Ausstellung im Kunstverein Talstraße Ausstellung im Kunstverein Talstraße: Blick über den Gartenzaun

halle (Saale) - Mit Halle und Leipzig ist das so eine Sache. Im Fußball wie in der Kunst. Eifersüchtig und gekränkt blickt man nicht selten von der Saale aus über den Gartenzaun in die große, gelassene Stadt nebenan: Wir sind auch toll! Was ernstlich auch niemand bestreiten will, schon gar nicht in diesem Jahr, da die hallesche Kunsthochschule Burg Giebichenstein ihren 100. Geburtstag feiert. Und die Hallenser wissen, was sie an ihren Künstlern haben.
Aber die Sachsen haben es unterdessen geschafft, schon das zweites Label in Sachen Kunst zu etablieren, nach der Leipziger Schule kam die Neue Leipziger Schule zu Ruhm. Mag sein, dass sich die von Höchstpreisen und Superlativen nicht nur für Neo Rauch, sondern inzwischen auch für einige seiner Schüler begleitete Erregung irgendwann als Blase erweist - sehenswert ist es allemal, was die Leipziger machen - darunter auch einige „Übersiedler“ aus dem halleschen Beritt wie der in Aschersleben aufgewachsene Rauch und Frank Hauptvogel aus Eisleben. Und erkennbar ist immer das, was der halleschen Schau den Titel gibt: „Die phantastische Linie“.
Schön, dass der Kunstverein Talstraße aus Halle nun ein Zeichen eigener Art setzt, nachdem jüngst die Leipziger den 2013 gestorbenen halleschen Maler Willi Sitte umfangreich zu Ehren kommen ließen, dessen Erbe in seiner Heimatstadt wegen seiner politischen Rolle in der DDR immer noch mit spitzen Fingern angefasst wird.
Die Ausstellung in der Talstraße, wo man seit der Einweihung des Anbaus im vergangenen Jahr nun viel großzügiger arbeiten kann, ist ein richtiger Wurf. Einen schönen Bogen haben Matthias Rataiczyk und Christin Müller-Wenzel geschlagen, von Max Klinger, dem Ahnherrn des Symbolistischen in Leipzig, über die Allegorien des Werner Tübke bis hin zu jüngeren und jüngsten Arbeiten aus Leipzig.
Dabei ist man einmal mehr überrascht von der gemeinsamen „Handschrift“, die den Künstlern bei aller Unterschiedlichkeit ihrer Sujets eigen ist. Von ungefähr kommt sie nicht, bedenkt man, dass die Protagonisten der Neuen Leipziger Schule ja bei Meistern der Leipziger Schule in die Lehre gegangen sind. So kann man von Mattheuer, Tübke und Rink auf Rauch und Baumgärtel sehen und eine Verbindung erkennen.
Neben dieser Erkenntnis und dem ästhetischen Vergnügen schlechthin, das der Rundgang durch die Schau bereitet, gibt es auch Entdeckungen - voran die kleinformatigen Gemälde der 1931 in Leipzig geborenen Käte Müller, die nie unter die Stars der Malerszene gereiht worden ist - sehr zu Unrecht.
Die anmutigen und zugleich melancholischen Bilder, Miniaturen fast, scheinen auf den ersten Blick der naiven Malerei zugehörig zu sein, doch zeigen die kubistisch verschränkten Perspektiven einen noch weiteren Blick.
Gleichfalls zu den Älteren gehört Erich Kissing (Jahrgang 1943), dessen symbolisch verrätselte, souverän gemalte Bilder eine besondere Magie ausstrahlen.
Tübke und Heinz Zander dürfen natürlich nicht fehlen, Aris Kalaizis und Tilo Baumgärtel ebensowenig. Kalaizis’ „Tag der großen Hoffnung“ ist ein desillusionierter Abgesang an Jugendträume und wohl auch an die Segnungen der Marktwirtschaft. Die Elegie vor blutrotem Abendhorizont spricht freilich sehr direkt an, einen Zauber übt sie dennoch aus - wenn auch nicht so intensiv, wie es Mathias Perlet mit seiner rätselhaft abwesenden „Jungfer im Gehege“ gelingt, um die man sich angesichts des heranspringenden Wolfstiers eigentlich Sorgen machen müsste - aber man traut dem schmächtigen Mädchen einige Abwehrkraft zu, auch gegen die eigenen Fantasien.
Natürlich gibt es Bilder von Neo Rauch zu sehen, würdig in Klingersche Nähe gehängt. Und auch Gerhard Altenbourg ist vertreten, der große, viel zu früh gestorbene, meisterliche Außenseiter.
Kunstverein Talstraße, Halle, Talstraße 23, bis zum 29. Nov., Mi-Fr 14-19, Sa/So 14-18 Uhr, Eintritt 5, erm. 3 Euro