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Ausstellung "Berlin 1937" Ausstellung "Berlin 1937": Wie sich der Alltag in einer völkischen Ordnung verändert

Von Christian Eger 08.06.2017, 09:39
SS-Zeichen auf der Tastatur einer Schreibmaschine
SS-Zeichen auf der Tastatur einer Schreibmaschine Stadtmuseum Berlin

Berlin - Coca-Cola war immer dabei. Ausgerechnet die US-Firma, deren Softdrink weltweit als ein Symbol für den „American Way of Life“ gilt, war im nationalsozialistischen Deutschland bestens aufgestellt. Ende der 1930er Jahre produzierten 50 deutsche Niederlassungen das zuckersüße Getränk. Die Nazis hatten nichts dagegen. Im Gegenteil. Zwischen 1933 und 1939 stieg der Cola-Absatz in Deutschland von 100.000 auf 4,5 Millionen Kisten.

Coca-Cola belieferte die Nürnberger Reichsparteitage der NSDAP. Das Unternehmen war offizieller Sponsor der Olympischen Spiele 1936 in Berlin. Auf einem in der Ausstellung „Berlin 1937“ präsentierten Farbfoto, das eine hauptstädtische Straßenszene des Jahres 1937 zeigt, schiebt sich ein Bus mit rot-weißer Coca-Cola-Werbung an NS-Uniformträgern vorbei. In einer Vitrine ist eine leere Coca-Cola-Flasche zu sehen, deren Boden zeigt die Prägung „Ruhrglas 1937“.

Sonderausstellung des Märkischen Museums in Berlin

Die deutsche Coke ist eines der durchweg überraschenden Exponate, die in einer Sonderausstellung des Märkischen Museums in Berlin die großstädtische Lebenswirklichkeit während der nationalsozialistischen Diktatur abbildet. „Berlin 1937 - Im Schatten von morgen“ heißt die Schau, die einmal nicht auf eine vordergründig politisch oder sittlich erzieherische Ansprache setzt, sondern das Sinnfällige sprechen lässt.

Was die Schau zu zeigen versucht: Wie sieht der Alltag in einer Gesellschaft aus, die sich plötzlich nach autoritären, völkischen Maßgaben umgestaltet? Ein Szenario, das heute wieder als zukunftsfähig gilt. Was verschwindet? Was kommt? Was bleibt? Zum Beispiel das, was - auf Trump-Deutsch - einen guten „Deal“ verspricht: Coca-Cola.

Originalzutaten für Coca-Cola zu Beginn des Krieges knapp

Als mit Beginn des Krieges in Deutschland die Originalzutaten für Coca-Cola knapp geworden waren, erfand ein deutscher Konzern-Mitarbeiter in Essen ein Ersatzgetränk, das aus Molke und Apfelfasern gemischt wurde. Die Mixtur wurde „Fanta“ genannt. Erst nach dem Krieg wurde der deutsche Name auf eine Limo mit Orangengeschmack übertragen.

Für ihren Zeitsprung in die Diktatur wählen die Kuratoren das Jahr 1937. Aus nachvollziehbaren Gründen. Das Jahr gilt als das „glückliche“ Jahr des Dritten Reiches. Es ist das Jahr nach den Olympischen Spielen und vor dem Beginn der ersten militärischen Aggression. Noch herrscht, bei allem Terror nach innen, äußerlich Ruhe im Land, das in den „Grenzen von 1937“ dahinlebt.

Besucher bewegt sich wie mit einem Google-Earth-Programm

Ruhe, aber welche Art von Frieden? Die Ausstellung ist nach Themenfeldern sortiert, die heißen etwa „Stadtbilder“, „Lebensbereiche“ oder „Angsträume“. In diesen Abteilungen sind Unterthemen zu finden wie: Straße, Bürgersteig, Zeitungskiosk, Wohnzimmer, Kino oder Theater. Jeweils werden Objekte, Bilder und Erläuterungen präsentiert. Wie mit einem Google-Earth-Programm bewegt sich der Besucher durch die gesellschaftliche Realität des NS-Staates.

Was schnell sichtbar wird: In der Nach-Demokratie verschwindet das gesellschaftliche Leben aus dem öffentlichen in den privaten Raum. Auf den Bürgersteigen sind die Uniformträger allgegenwärtig. In den Kneipen wird gespitzelt. Aus den Auslagen der Zeitungskioske ist die publizistische Vielfalt verschwunden. Die Litfaß-Säulen zeigen keine rauchenden Frauen mehr. Die Schaufenster sehen aus wie hilflos-dürftige, mit Politparolen dekorierte Themen-Arrangements. Man kennt das aus der DDR.

Goebbels schenkt Hitler 1937 zwölf Micky-Maus-Filme

Kulturell gilt: Spezifisch nationalsozialistisch ist weniger das, was in den Kinos oder Theaters gezeigt, sondern das, was nicht mehr gezeigt wird. Verschwunden ist jedwede Auseinandersetzung mit der Stadt, mit den gesellschaftlichen Verhältnissen und der Politik generell. Das gilt für alle Sparten der Kultur: für Literatur, Kunst und Theater.

In den Kinos setzt man auf harmlose deutsche und amerikanische Mainstream-Ware. Goebbels schenkt Hitler 1937 zwölf Micky-Maus-Filme zu Weihnachten, deren Vorführung für die deutschen Filmverleiher teuer ist, aber möglich wäre. Unmöglich ist anderes. In den Theatern sind keine Zeitdramen oder Politik- und Gegenwartskritik zu erleben. Die gelenkten Spielpläne setzen auf das „klassische Nationaltheater“, vorzugsweise auf ausgewählte Stücke von Lessing, Schiller oder Gerhart Hauptmann. Die gesellschaftliche Gegenwart des Jahres 1937: Friedhofsruhe, Klassik und Coca-Cola.

SS-Rune auf der Tastatur

Wie nebenbei nimmt der staatlich gelenkte Antisemitismus an Fahrt auf. Erste Parkbänke werden nur für „Arier“ reserviert. Die Hetzzeitschrift „Der Stürmer“ wirbt mit sogenannten roten „Stürmer“-Kästen, die nicht etwa vom Verlag, sondern von den Lesern gestaltet werden. Die Ausstellung zeigt eine 2015 auf einem Berliner Dachboden gefundene, mit Juden-Karikaturen beklebte „Stürmer“-Tafel. Sie gilt als die weltweit einzige, die erhalten ist.

Wie schnell eine liberale demokratische in eine autoritär gleichgeschaltete Gesellschaft zu überführen ist, zeigt die Schau - und mit welchen Ansagen das umnebelt wird. Die Aushöhlung der Freiheit vollzieht sich dabei schleichend - und plötzlich findet sich das SS-Zeichen auf der Tastatur einer amtlichen Schreibmaschine. Das geschieht ohne eine „Stunde Null“ davor oder danach. Das Vergessen ist die Droge dieses Wandels. Eines der merkwürdigen Objekte der Schau ist eine 1936 hergestellte, in Massen vertriebene Bronzebüste des NS-Märtyrers Horst Wessel. Gefertigt von Fritz Koelle: in der DDR 1949 als Professor an die Kunsthochschule Dresden, 1950 an die in Berlin-Weißensee berufen. (mz)

Informationen zur Ausstellung im Märkischen Museum in Berlin

„Berlin 1937. Im Schatten von morgen“ ist die erste Ausstellung, die im Märkischen Museum in Berlin unter der Leitung des neuen Direktors Paul Spies (57) entstand. Der niederländische Kunsthistoriker ist seit Februar 2016 Direktor der Stiftung Stadtmuseum Berlin und Chef-Kurator des Landes Berlin im Humboldt-Forum.

Märkisches Museum, Berlin, Am Köllnischen Park 5: Bis 4. Januar 2018. Di-So 10-18 Uhr. Katalog 18,90 Euro. Eintritt 6, erm. 4 Euro. Bis 18 Jahre frei.

Es wird viel passieren. Aber was? Berlin 1937: Menschen am Leipziger Platz in Berlin, hinten das Kaufhaus Wertheim
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Harry Croner/Stadtmuseum Berlin