Ausstellung Ausstellung: «Badens schrecklichster Schreck ist der neue Flüchtlingstreck!»
Berlin/MZ. - Setzt man die Zahlen ins Verhältnis zur jeweiligen Gesamtbevölkerung ergibt sich ein anderes Bild. Demnach stellten die Vertriebenen 24,1 Prozent der DDR-Nachkriegsbevölkerung, während der Anteil im Westen nur 15,7 Prozent betrug. Es war also der wirtschaftlich ohnehin benachteiligte Ost-Staat, der die Hauptlast der Zuwanderung in Folge des Zweiten Weltkrieges zu tragen hatte.
Ost-Formel "Umsiedler"
Ein Befund von seinerzeit einiger politischer und kultureller Brisanz. Nach Innen befand sich die machttechnisch labile DDR in einem dauerhaften Ausnahmezustand. Sonderinteressen sollten hier nicht auch noch öffentlich verhandelt werden. Bereits 1945 wurden in der Sowjetischen Besatzungszone die Begriffe "Flüchtling" und "Vertriebener" durch "Umsiedler" ersetzt, von 1950 an mit "ehemaliger Umsiedler". Und selbst dieser Titel wurde möglichst vermieden.
So sind es vor allem die sozialen und politischen Aspekte der in beiden deutschen Teilstaaten vollzogenen Bevölkerungs-Integration, die den Gang durch die im Deutschen Historischen Museum in Berlin gezeigte Schau "Flucht, Vertreibung, Integration" zu einem Bildungserlebnis machen. Denn eine große gesellschaftliche Leistung ist diese doch letztlich geglückte Aufnahme der Vertriebenen in beiden Staaten gewesen. Im Westen vorangetrieben mit symbolischer und finanzieller Anerkennung, im Osten mit politischer Repression, aber doch auch mit eindrücklichen sozialen und wirtschaftlichen Aufstiegschancen. Die im Oktober 1945 in Dresden gegründete "Volkssolidarität" war zum Beispiel auch ein Instrument der Vertriebenen-Integration.
Die Ausstellung, die vom Bonner Haus der Geschichte übernommen wurde, schlägt den großen historischen Bogen. Sie beginnt mit den Vertreibungen aus Armenien, Griechenland und der Türkei am Anfang des 20. Jahrhunderts, setzt sich fort über die Stalinsche Völker- bis hin zur verbrecherischen Ausrottungspolitik Hitlers und deren Folgen. Die Flucht und die offizielle Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten wird geschildert genauso wie die "wilden Vertreibungen", denen die Deutschen in Polen und der Tschechoslowakei ausgesetzt waren. Durch eine Baracke des ehemaligen Flüchtlingslagers im bayerischen Furth am Wald, das die Sudetendeutschen passierten, tritt man in die Ost- und Westabteilung der Ausstellung. Ganze Industriezweige siedelten sich mit den Flüchtlingen an: die Glas- und Schmuckindustrie, der Instrumentenbau. Auf Bildmonitoren sind Zeitzeugen-Statements abzurufen, "Lebenswege"-Stationen machen Biografien hörbar.
Treffpunkt Zoo Halle
Nichts wird verschwiegen. Auch nicht die Ablehnung, denen sich die Einwanderer doch auch ausgesetzt sahen. Ein Foto zeigt ein Karnevalstransparent im badischen Lahr Ende der 40er Jahre: "Badens schrecklichster Schreck - der neue Flüchtlingstreck!" Interessant sind die Aussagen zur DDR-Situation. 43,3 Prozent der Vertriebenen siedelten in Mecklenburg-Vorpommern, 17,2 in Sachsen; die Masse wanderte bald aus den Land- in die Industrieregionen ab. Entgegen der propagandistisch erzeugten Wahrnehmung waren es nur zwei Prozent aller Vertriebenen in der DDR, die als "Neubauern" starteten. Mit hohem Aufwand spähte die Staatssicherheit "Umsiedlertreffen" aus, die sofort zu "zerschlagen" waren. Die Szene aber handelte ideenreich. So soll zwischen 1950 und 1953 der Zoo in Halle als Anlaufpunkt größerer landsmannschaftlicher Treffen gedient haben.
Ausstellung bis 13. August, täglich 10 bis 18 Uhr