Ausstellung Ausstellung: Alte Schriften und Zeugnisse der Erinnerung an die Reformation zu sehen

Halle (Saale) - Schmal ist der Schuh, leicht und ledern, ein Stück Reformationsgeschichte von unten, folgt man der Zuschreibung des Historikers Dreyhaupt von 1755. Kein Schuh des Manitu liegt da hinter Glas, sondern das riemchenlose Fußzeug des Philipp Melanchthon (1497-1560), des intellektuellen Propagandisten der Luther-Lehre. Auf so leisen Sohlen also breitete sich die Reformation aus. Und auf so kleinem Fuß. Schuhgröße 36.
Der antiquarische Treter in der Farbe einer vergessenen Bananenschale gehört zu den reformatorischen Reliquien der halleschen Marienbibliothek, die als erste protestantische Gemeindebibliothek überhaupt gilt.
Von Sonntag an sind ausgewählte Stücke ihrer von 1552 an gewachsenen Bestände in der Ausstellung „Wissensspeicher der Reformation - Die Marienbibliothek und die Bibliothek des Waisenhauses in Halle“ in den Franckeschen Stiftungen zu sehen.
Vor allem für die Marienbibliothek, die - dank der Arbeit eines rührigen Freundeskreises - seit Anfang der 1990er Jahre Schritt für Schritt öffentlich sichtbarer wird, ist dieser gemeinsame Auftritt ein Gewinn.
Denn kulturhistorisch ist diese Sammlung jener der Bibliothek in den Franckeschen Stiftungen mindestens gleichrangig, aber in ihrer medialen Präsenz unterlegen.
Marienbibliothek und Franckesche Stiftungen präsentieren Dokumente der Reformation in Halle
Dabei ist die Marienbibliothek die ärmere ältere Schwester der seit 1698 in den Franckeschen Stiftungen angelegten Bücherkollektion. Beide kommen von Luther her. Die Marienbibliothek direkt, die Schulsammlung mittelbar. Nun haben beide Sammlungen einen schwesterlich vereinten Auftritt.
Es ist eine schlank und gut strukturierte Schau, die nicht nur zeigt, wie vielschichtig, sondern wie viel-geschichtlich die Buchbestände sind. Raum für Raum werden Erzählungen geboten, die auch ihren Sensationswert haben. Denn für und gegen die Reformation wurde nicht nur debattiert, sondern getötet, verfolgt und versteckt.
So wurden 1715 im halleschen Gasthof „Drei Schwäne“ Luther-Schriften gefunden, die dort vor 1541, also während der Herrschaft des Kardinals Albrecht, eingemauert worden waren. Die Bücher wurden für die Stiftungen gewonnen. In der Ausstellung ist ein Luther-Sammelband in einer nachgestalteten Mauernische zu sehen.
Kardinal Albrecht steht denn auch am Anfang der Ausstellung, die wie nebenbei eine frühe Buchgeschichte der Stadt Halle liefert. Der erste Buchdrucker kam zwar erst 1541, also mit der Vertreibung des Kardinals, in die Stadt, aber Bücher waren hier bereits vor den schriftseligen Protestanten gesammelt worden.
Die größte Kollektion besaß Albrecht selbst, der freilich alles fort nach Mainz trug. Sein „Hallesches Heiltumsbuch“ (1520) ist aus dem Bestand der Marienbibliothek zu sehen, dazu Perlmuttmedaillons mutmaßlich aus Albrechts Besitz.
Interessant: Nicht nur Luther legte ein „Neues Testament“ vor, sondern 1527 auch sein Gegenspieler. Die katholische Fassung verwendet ebenfalls die Holzschnitte von Cranach dem Älteren.
Ausstellung zur Reformation in den Franckeschen Stiftungen in Halle setzt im Jahr 1524 an
Die Erzählung der Ausstellung hebt im Jahr 1524 an. Damals rief Luther in seiner Schrift „An die Ratsherren aller Städte deutschen Landes“ zur Errichtung von allgemeinen Schulen und Bibliotheken auf. Denn, „wo nur törichte Bücher vorhanden sind, werden daraus auch nur törichte Schüler“.
Dem muss man hinzufügen: „Gute“ Bücher, das waren für Luther selbstverständlich die protestantischen und jene, die diesen Schriften zuarbeiteten. Anderes war auszusondern, zu vernichten, keinesfalls zu überliefern. Kirchenkampf und Wissens-Management gingen miteinander einher, bis sich die heilsgeschichtliche Mission zugunsten des säkularen Wissens aus den Bibliotheken zurückzog.
Das ist in der Ausstellung zu beobachten. Da ist die herausragende Sammlung der Felicitas von Selmenitz, die an Luthers Tischrunden zugegen war. Ihr Sohn verlegte sich bereits mehr auf naturwissenschaftliche Schriften. Wunderbar ein koloriertes Kräuterbuch von 1583, das bei den Tipps zur Bekämpfung von Bettwanzen aufgeschlagen ist. Reiste Francke noch durch Deutschland, um Luthernotizen in Abschriften zu sammeln, verbreiteten seine Missionare Luther-Titel bis Amerika und Indien.
Wie Welt und Heil, Schrift und Vorschrift geistig, geistlich und sachlich zusammen spielen, zeigt die Schau. Kuriosa inklusive: Die mutmaßlichen Luther-Todesmasken aus der Marktkirche sind zu sehen.
Die Ausstellung in Halle blickt auch auf die Luther-Jubiläen 1917 und 1983 zurück
Und die Debatte um die Luther-Puppe ist dokumentiert, das „Luther-Gespenst“, das man um 1900 als Einlassfigur in der Marienbibliothek errichtet hatte. Die Schau findet ihr Ende mit dem Rückblick auf die Luther-Jubiläen 1917 und 1983, Luthers 500. Geburtstag.
Aufgeschlagen liegt ein Foto von Erich Honecker, Vorsitzender des „Staatlichen Luther-Komitees“, neben ihm sein Vize, der Ost-CDU-Chef Gerald Götting. Ein Hallenser vom Jahrgang 1923, der die Latina in den Franckeschen Stiftungen besucht hatte. Franckes Bibliothek wird er gekannt haben.
Eröffnung: 30. Oktober um 11.30 Uhr im Freylinghausen-Saal der Stiftungen. Dann bis 26. März 2017: Di-So 10-17 Uhr. Zeitgleich Kabinettausstellung in der Francke-Bibliothek: „Gedruckt in Wittenberg. Reformationsdrucke“ (mz)
