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Augenzwinkernder Goethe im Park Augenzwinkernder Goethe im Park: Theater Meiningen spielt Faust I und II

Von Ingo Senft-Werner 19.05.2007, 13:30
Auf der Bühne des Meininger Theaters in Meiningen wird eine Szene aus «Faust - Der Tragödie zweiter Teil» von Johann Wolfgang von Goethe mit Reinhard Bock als Doktor Wagner geprobt. (Foto: dpa)
Auf der Bühne des Meininger Theaters in Meiningen wird eine Szene aus «Faust - Der Tragödie zweiter Teil» von Johann Wolfgang von Goethe mit Reinhard Bock als Doktor Wagner geprobt. (Foto: dpa) dpa-Zentralbild

Meiningen/dpa. - Die24. Inszenierung des Klassikers von Johann Wolfgang Goethe in der175-jährigen Geschichte des Traditionshauses dürfte die wohlaufwendigste sein. Das Publikum belohnte die insgesamt rund siebenStunden dauernde Gratwanderung zwischen Schau und Spiel mit langanhaltendem Beifall - vor allem nach Teil II. Darin schwang sowohlAnerkennung für die Bewältigung der Mammutaufgabe mit als auchDankbarkeit, den sperrigen Faust II so unterhaltsam unters Volkgebracht zu haben.

Intendant und Regisseur Ansgar Haag bürdete seinem Ensemble dieMühen auf, weil er Faust vom Ende her interpretieren will: als einenZweifler und Mahner, der den Untergang der sich immer schnellerdrehenden Welt vorhersieht. Auf dem Weg zu dieser Erkenntnis treibter sich selbst unstet durch die Jahrhunderte, durch Geister- undHöllenreiche. Dieser Parforceritt, vor allem im zweiten Teil, stelltdas Publikum seit jeher auf eine harte Probe. Haag setzt dabei aufden «augenzwinkernden» Goethe, der nicht alle Anleihen bei der Antikebierernst nahm.

So wird die klassische Walpurgisnacht in Meiningen zum Spektakelim Park. Neugierig folgen 700 Besucher Mephisto aus dem Theater insFreie. Dort erwartet sie ein riesiges Stahlross auf Rädern - derZentaur Chiron, der Faust zu Helena in den Hades bringen soll. Vorund im Parkteich liegen antike Ruinen, bevölkert von mythologischenGestalten, von denen eine sogar wie der Kritiker Marcel Reich-Ranickispricht. Der Humunkulus, ein ferngesteuertes Riesenbaby in einerPlexiglaskugel, wird rührselig über den See gezogen.

Die rockige Musik zieht auch Spaziergänger an, die allerdings aufDistanz bleiben, obwohl keine Absperrung sie daran hindert, sichunter die zahlenden Besucher zu mischen. Das Theater zeigt sich damitauf ganz neuem Wege in der Stadt. Nicht zuletzt für diesen Regie-Einfall nach Vorbild des spanisch-barocken Wassertheaters wurde dieInszenierung bei der Imagekampagne «Ort im Land der Ideen»ausgezeichnet.

Trotz dieses Klamauks gelingt es dem Ensemble, die Spannung zuhalten, vor allem wegen der konzentrierten Leistung von Hans-JoachimRodewald als Faust, ständig umschwänzelt von Roman Weltzien alsMephisto, der kaum merklich sein rechtes Hinkebein nachzieht. Wie dieanderen Teufel und Hexen in Meiningen entstammt er einerTravestieschau und gibt den Dauerlüstling, der mit dem FaustschenTiefsinn nichts am Hut hat.

Das Bühnenbild von Bernd Dieter Müller steht im angenehmenWiderspruch zu der volksnahen Inszenierung: ein aus den Fugengeratener Quader aus Metallstreben, der gleichermaßen als Haus,Kaiserhof und Kerker dient. In der Antike richtet er sich für kurzeZeit zu einem vollkommenen Würfel auf, bevor er Jahrhunderte späterim Krieg vollständig zerbombt wird.

Überzeugend ist auch die musikalische Umsetzung von Jan Dvorákgelungen. Im ersten Teil ist die Band mit Klavier, Cello, Kontrabassund Schlagzeug am rechten Bühnenrand platziert, jederzeit bereit, dasGeschehen zu untermalen. So wird Faust meist mit einem düsterenCello-Motiv begleitet. Im zweiten Teil erweitert sich das Spektrum:von der Operette mit Streichern im Kaiserhof bis zum Hardrock, alsFausts Sohn in den Krieg zieht.

Die Ambitionen des Theaters zeigen sich auch am Programmheft, daszu einem Taschenbuch mit mehr als 170 Seiten geraten ist - mithistorischen Bildern, aktuellen Szenenfotos, Goethebriefen undliterarischen Zeugnissen zu Faust. Um den ersten Teil, der insgesamtin zwei Spielzeiten 25 Mal aufgeführt werden soll, ist es Ansgar Haagnicht bang. Die traditionelle Inszenierung wird ihr Publikum finden.Gradmesser des Erfolgs ist für den Intendanten, ob es gelingt, dieBesucher für den zweiten Teil zu begeistern.

Nicht zuletzt will das Traditionstheater mit Hilfe des Goethe-Klassikers seine Ausgangsposition im Kampf um die staatlichenZuschüsse verbessern, der zurzeit in Thüringen tobt. Der Gesamtetatfür die Theater soll ab 2009 von 60 auf 50 Millionen Euro gekürztwerden. Mit seiner Inszenierung hat Haag jetzt sichtbar die Faustgehoben.