Auf den Spuren des umstrittenen Papstes Pius XII.
Rom/dpa. - War Papst Pius XII. ein Judenretter oder ein Schuldiger? Übte er diplomatische Zurückhaltung oder haben seine Kritiker Recht, die ihm feiges Schweigen vorwerfen?
Der Mann, der in den schwierigen Jahren des Zweiten Weltkrieges auf dem Stuhl Petri im Vatikan saß, ist einer der umstrittensten Päpste überhaupt. Noch heute - ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod am 9. Oktober 1958 - begegnen viele mit Unverständnis der Tatsache, dass Eugenio Pacelli zur Judenvernichtung mitten in Europa schwieg. Hätte öffentlicher Protest eines solch wichtigen Kirchenmannes nicht den Untaten des NS- Regimes Einhalt gebieten können? Mit diesen Fragen setzt sich der Freiburger Theologe und Kirchenhistoriker Klaus Kühlwein in seinem neuen Buch auseinander - und er findet überraschende Antworten.
Das im Patmos Verlag erschienene Werk «Warum der Papst schwieg - Pius XII. und der Holocaust» ist ein spannend geschriebenes Sachbuch und gleichzeitig eine tiefgehende Spurensuche über den Menschen Pacelli. Kühlwein schildert dabei den Lebensweg des späteren Papstes (1939-1958) von den Jahren seiner Kindheit an. Introvertiert, fromm und fleißig, zeitweise aber auch «aufbrausend und ungnädig», sei der junge Pacelli gewesen. «Seine Einstellungen und Überzeugungen, Vorlieben und Abneigungen werfen Licht darauf, wie er später als Papst den Herausforderungen begegnete, und lassen verstehen, was er tat und was er nicht tat», heißt es im Klappentext.
Kühlweins fundierte Studie beruht vor allem auf Unterlagen aus dem päpstlichen Geheimarchiv, zu dem der Autor Zugang hat. Dabei führt er aus, wie der Papst stets um das richtige Verhalten rang, und warum seine Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus bis heute überaus kontrovers beurteilt wird.
Kühlwein setzt sich stets fair mit dem Papst auseinander und vermeidet es, Partei zu ergreifen. «Was würde geschehen, wenn er unverhohlen die Besatzungsmethoden kritisieren würde - gar vor aller Welt? Durfte er das als neutraler Part in diesem Konflikt tun? Pius schwankte», schreibt er zum Dilemma Pacellis wegen der deutschen Besetzung Polens. «Doch Mitte Januar 1940 hatte er sich zu einem öffentlichen Wort durchgerungen. Er gab "Radio Vatikan" Weisung, über die fürchterlichen Zustände im besetzten Polen zu berichten.»
Der Gewissenskonflikt des Papstes nahm noch zu, als er immer neue Hiobsbotschaften über die Judenverfolgung erhielt. «Seine schlimmsten Ahnungen, die ihn spätestens ab 1925 begleiteten, als er den Nationalsozialismus als Häresie bezeichnete und er sich anschickte, Hitlers "Mein Kampf" genau zu studieren, waren bei weitem übertroffen worden. In diesem Krieg schien die Hölle entfesselt zu sein.» Vielleicht sei es um diese Zeit herum gewesen, als Pius XII. zum ersten Mal einen Exorzismus über Hitler sprach, schreibt der Autor. «Irgendwann war Pius nämlich zu der Überzeugung gelangt, dass dieser Mann vom Teufel besessen sein musste.» Wenigstens zwei Mal soll Pius versucht haben, Hitler per Exorzismen den Teufel auszutreiben. «Genutzt hat es nichts», merkt Kühlwein an.
Erst als Todeskommandos des Holocaust auch die alte jüdische Gemeinde in Rom angriffen, zog Pius die Notbremse. Da war es jedoch zu spät und ein Zug mit über 1000 Menschen rollte aus der Ewigen Stadt nach Auschwitz. Kühlwein gelingt es in seinem Werk, die inneren Konflikte des Papstes verständlich vor Augen zu führen und sein häufiges Wanken objektiv darzustellen. Dabei versucht er, das Verhalten von Pius XII. zu verstehen und zu analysieren, und nicht - wie so viele andere - ihn einfach nur zu verurteilen.
Klaus Kühlwein
Warum der Papst schwieg - Pius XII. und der Holocaust
Patmos Verlag, Düsseldorf
246 Seiten, 19,90 Euro
ISBN 978-3-491-72527-0