"Auch wir sind Deutschland" "Auch wir sind Deutschland": Bushidos Antwort auf Thilo Sarrazin

Berlin/MZ - Anis Mohamed Youssef Ferchichi, besser bekannt als Rapper Bushido und Lieblings-Böser-Junge des Boulevard, hat ein Buch über Heimat geschrieben. Vielmehr, um das Thema ein wenig aufzupimpen, über Heimat als Zustand der inneren Entwurzelung. Eine Antwort der Ausländer auf Thilo Sarrazin als Promibiografie, gepaart mit Fernando Pessoas „Buch der Unruhe“ – wenngleich natürlich längst nicht so poetisch wie letzteres.
Heimat, so liest man aus seinem Buch „Auch wir sind Deutschland“ heraus, ist für Ferchichi Deutschland. Hier ist er aufgewachsen, hier fühlt er sich wohl zu Hause. Doch ein Land kann selten allein Heimat sein. Zuviel spielt da mit rein, vor allem, wenn man als Sohn eines Tunesiers und einer Deutschen in einem Land aufwächst, in dem längst nicht alle so tolerant sind, wie sie immer denken. Ständig im Zwiespalt zwischen zwei Kulturen, zwischen der Unmöglichkeit der Wahl, sich für das eine oder das andere zu entscheiden.
Selbstbild und Fremdbild
Bushido ist stellenweise durchaus stolz auf Deutschland. Den trotzigen Patriotismus vieler Migranten in Bezug auf ihre Herkunftsländer sieht er mit Skepsis: „Wenn die in Deutschland aufgewachsenen Jugendlichen heutzutage ihre vermeintlichen ,Heimatländer’ feiern, ist das ein bisschen heuchlerisch, denn keiner will wirklich dort leben, auch wenn sie alle ihre Flaggen rausholen. Die Leute, die ich kenne oder die ich beim Friseur treffe, sind zwar alle sehr patriotisch, wenn es um das Land ihrer Väter und Mütter geht, und Patriotismus wird großgeschrieben, aber wirklich zurück wollen die nicht.“
Persönliche Identität entsteht aus einer Wechselwirkung zwischen Selbstbild und dem Fremdbild, das auf einen projiziert wird. Diese ist umso dramatischer, wenn man aus zwei so radikal unterschiedlichen Kulturen kommt wie der deutschen und der tunesischen. Das Selbstverständnis ist notwendigerweise gespalten. Vor allem, wenn die gesellschaftliche Gruppe, in der man sich gerade bewegt, nur die eine Seite auf einen projiziert wird. Nein, das bin ich nicht, denkt man dann, es ist nur ein Teil von mir.
Kein Stress mit deutschen Jungs
Das wird in Ferchichis Buch besonders deutlich, wenn er immer wieder betont, er sei Deutscher, sich dann aber über mehrere Absätze darüber lustig macht, was für Weicheier die deutschen Männer sind. Oder wenn er die positive Seite dieses Umstands betont, dass er nämlich noch nie handfesten Ärger mit eingeborenen Deutschen hatte: „99 Prozent aller Missgeschicke, Pöbeleien, Anfeindungen etc., denen ich auf der Straße ausgesetzt bin, passieren mir mit ,Kanaken’. Ich hatte noch nie in meinem Leben in der Form Stress mit einem deutschen Jungen, dass er mich gesehen und dann gemeint hätte: ,Weißte was, du bist voll der Spast.’ Noch nie. Warum das so ist? Keine Ahnung. Ist einfach so.“ Oder wenn er das enge Zugehörigkeitsgefühl der arabischen Familie feiert, gleichzeitig aber ernste Bedenken äußert, was eine Erziehung zu einem selbstbestimmten Leben angeht. Widersprüchlich? Keinesfalls. Man kann seine beiden Kulturen immer auch ein bisschen von außen betrachten, so sehr man sie liebt, so sehr man mit ihnen hadert. Wer das als Opportunismus bewertet, maßt sich ein ungeheuerliches Urteil über andere Menschen an.
Ferchichi stellt sich nicht nur diesem inneren Konflikt, er beschreibt ihn auch deutlich, belegt ihn mit Beispielen, und es wird immer wieder klar, dass auch er keine Lösung dafür findet. Wohl auch niemals finden wird. Vielleicht ist das aber auch gar nicht nötig.
Staatsbürgerliche Perspektive
Sein Ansatz ist, die Reizthemen anzusprechen, etwa seinen angeblichen Antisemitismus und natürlich auch das Schwulenthema. Anis Ferchichi oder auch Bushido darauf zu reduzieren, dass er das im Buch deutlich ausgesprochene gewisse Unbehagen gegenüber Homosexualität hegt, ist nicht gerecht. Seine Vorbehalte klingen zwar für die meisten aufgeklärten Stadtmenschen dieser Republik bescheuert – und um ehrlich zu sein, das sind sie auch. Aber die Kanzlerin hat am Montag zur Primetime in der ARD kein wesentlich anderes Weltbild zur Schau gestellt. Man muss also davon ausgehen, dass sich konservative Christen mit ihrem Wertekanon in diesem Punkt nicht sonderlich von den ihnen so verhassten Jugendgangs in Problembezirken oder arabischen Großfamilien unterscheiden. Oder eben von Bushido. Der Innenminister braucht sich nachträglich gar nicht so dafür schämen, das er sich letztes Jahr mit dem Rapper bei einem Sommerfest hat ablichten lassen.
Bushido formuliert am Ende sehr klar und bewusst aus einer staatsbürgerlichen Perspektive, die vom Ich zu einem wie immer gearteten Wir kommen muss: „Wo wäre ich heute, wenn ich meine Angst nicht überwunden hätte? Wo wäre ich heute, wenn ich mir nicht irgendwann einmal das Ziel gesteckt hätte, reich und berühmt zu werden? Man muss seine Ziele schon konkret formulieren. Und wer, wenn nicht wir hier in Deutschland mit all unseren organisatorischen und finanziellen Möglichkeiten, wer, wenn nicht wir, könnte das Ziel einer einigermaßen gerechten Gesellschaft erreichen? Einer Gesellschaft, die jedem die Möglichkeit bietet, sich einzubringen. Einer Gesellschaft, in der jeder etwas zählt, egal, was er mitbringt.“