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Arnold Newman Arnold Newman: Gedächtnis in Bildern

Von andreas montag 15.03.2012, 18:21

berlin/MZ. - Das Bild ist ein Hingucker: Ein angeschnittener Flügel dominiert die Fotografie, an deren linkem Rand, erst auf den zweiten Blick sichtbar, der Mann, dem die Aufnahme gewidmet ist, sichtbar wird. Darf man eine Berühmtheit wie den Komponisten Igor Strawinsky an die Peripherie verbannen? Gewiss, wenn dieses Foto mehr über den Porträtierten erzählen soll als die Abbildung seines Gesichts es vermöchte. Hier geht es um die Wahrnehmung des Künstlers, der seinem Lebensinhalt, der Musik, den Vortritt gewährt. Und dennoch, ungeachtet aller nachdenklichen Zurückhaltung, unzweifelhaft selbstbewusst Platz genommen hat als Person, die sich ihrer Stellung bewusst ist.

Die Meisterschaft Arnold Newmans, des Fotografen, besteht neben der technischen Perfektion in der Hauptsache darin, dass er wie ein guter Erzähler vertraut ist mit der Geschichte, die so und nur so zu erzählen ist. Newman (1918-2006), aus dessen herausragendem fotografischen Werk die Galerie C / O Berlin in der Oranienburger Straße bis zum 20. Mai "Masterclass", eine umfangreiche Auswahl vorwiegend von Künstlerporträts zeigt, lässt jedes seiner Bilder zum Betrachter sprechen.

Dabei gerät die stilistische Entscheidung, wie er eine Fotografie komponiert, niemals in den Verdacht des Zufälligen, der Laune oder gar einer Manier. Stattdessen sind die Bilder des Amerikaners immer klar und bezwingend in ihrer Wahrhaftigkeit: Nur so konnten sie entstehen, aus einer offensichtlich intensiven Zwiesprache mit dem Porträtierten und seinem Werk. Nichts ist hier auf einen Effekt hin inszeniert, auch wenn die Protagonisten natürlich ihre Bühne nutzen.

Das Bildnis der Marilyn Monroe zum Beispiel, aufgenommen 1962 in Beverly Hills, Kalifornien, zeigt die Schauspielerin in einer großen, melancholischen Pose. Freilich ist sich die berühmte Frau im Augenblick, da sie fotografiert wird, der Möglichkeit bewusst, sich so zu zeigen, wie sie gesehen werden möchte. Die Kunst des Fotografen ist es, diesen Moment sichtbar zu machen - und damit auch das zweite, das innere Gesicht der Monroe.

Die Lösungen, die Newman für seine Künstlerbilder, aber auch für karge Stadtlandschaften fand, die gleichfalls in der Ausstellung gezeigt werden, sind immer bezwingend. Henry Moore, den großen Bildhauer, zeigt Newman in eine seiner fließenden Plastiken geschmiegt, Andy Warhol, den manischen Gottvater der Popart, hat er mit Versatzstücken der Collage zum Kunstwerk seiner selbst gestaltet. Das trägt gewiss auch spielerische Züge, die sich indessen nie verselbstständigen, sondern immer dem Gegenstand, der Person, verpflichtet sind.

Dafür setzt Newman seine ganze Leidenschaft ein, die ihn zu einem der ganz Großen gemacht hat. "Ein gutes Porträt ist zuerst und vor allem eine gute Fotografie", hat er lakonisch gesagt. Und dass er nicht nur mit der Kamera, sondern mit dem Herzen und dem Verstand gearbeitet habe.

Und mit unbeirrbarem Willen. Geboren 1918 in New York und aufgewachsen in Miami, hatte es Newman früh zur Kunst gezogen. Aber aus finanziellen Gründen musste er sein Studium abbrechen und Brotarbeit tun. In einem billigen Porträtstudio verdiente er sein Geld mit Allerweltsaufträgen - und vervollkommnete dabei seine technischen Fertigkeiten - wenn man so will ein schlagender Beweis für die Glaubwürdigkeit des amerikanischen Traums, es mit Talent, Fleiß, Ehrgeiz und Selbstvertrauen weit bringen zu können. Und Glück muss man freilich auch haben. Im Falle Newmans bedeutete dies, dass er sich als noch weithin Unbekannter entschloss, seine Arbeiten Beaumont Newhall, dem Kurator der fotografischen Abteilung am Museum of Modern Art, vorzulegen. Dessen Frau Nancy empfahl ihn dem renommierten Fotografen Alfred Stieglitz, der Newmans Talent, namentlich für Porträts, erkannte und den Kollegen förderte.

Dabei hat Newman, der die Schattenseiten des einfachen Lebens gut kannte, stets einen ausgeprägten Blick auch für soziale Konturen - und eben für die Gesichter hinter den Gesichtern bewahrt.

Ohne diese Schärfe, die sich etwa in der frühen, 1941 entstandenen Aufnahme einer Brache in Philadelphia, Pennsylvania, erweist, würde ihm das Einfühlungsvermögen für seine Künstlerbilder nicht zugewachsen und erhalten geblieben sein.

Die Porträts, das Herzstück seines Werks, sieht der Betrachter wie ein Who's Who der Weltkunst. Staunend und respektvoll, wie der Fotograf sich ihnen genähert haben wird, begegnet man in der Schau Stars wie Max Ernst, Joan Miró oder Pablo Picasso. Jeder ist auf unverwechselbare Weise dem Gedächtnis der Betrachter empfohlen. Köstlich und mit einem Schuss Sarkasmus versehen sind einige der Aufnahmen, darunter ein wunderbares Gruppenporträt zufriedener Manager aus Hannover, das 1977 entstanden ist. Ebenso hinreißend sind auch Bilder wie jenes, das einen Footballspieler aus Green Bay, Wisconsin, zeigt, hinter dem die örtlichen Wirtschaftsführer wie ein Team posieren.

Nur eines muss man mitbringen, um Arnold Newmans Bilder zu genießen: Zeit. Wer diese Ausstellung nicht in Ruhe genießt, ist selber schuld.

Bis zum 20. Mai, C / O Berlin, Postfuhramt Berlin-Mitte, Oranienburger Straße 35 / 36, tägl. 11-20 Uhr, Eintritt 10, erm. 5 Euro.