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Architektur Architektur: Hundertwassers erstes Bauwerk ist 20 Jahre alt

10.11.2005, 10:44
Frontansicht des Hundertwasser-Hauses in Wien aus der Fußgängerzone mit Touristen (Foto: dpa)
Frontansicht des Hundertwasser-Hauses in Wien aus der Fußgängerzone mit Touristen (Foto: dpa) dpa

Wien/dpa. - Plötzlich öffnet sich die Fahrstuhltür. Als derältere Hausbewohner einen Besucher mit einer großen Kamera um denHals sieht, versteinert sein Gesicht. «Bitte verlassen Sie diesesHaus», fordert er in einem scharfen, kompromisslosen Ton. «Sie habenhier nichts zu suchen!»

Ungebetene Gäste sind für die Bewohner des Wiener Hundertwasser-Hauses ein rotes Tuch. Denn seit das inzwischen weltberühmte Gebäudevor genau 20 Jahren erstmals die Türen für die Bevölkerung Wiensöffnete, befinden sich seine rund 200 Bewohner in einem permanentenBelagerungszustand. Schätzungsweise eine Million Menschen kommen Jahrfür Jahr in die Donaumetropole, um das erste große Wohnhaus desWiener Künstlers zu bestaunen, bei dem er seine Vision von einemnatürlichen und menschengerechten Wohnen umsetzen durfte.

«Dieses Haus ist meine Seele», schrieb Friedensreich Hundertwasser(1928-2000) über das Bauwerk, das mit seinen starken Farben,geschwungenen Formen, mit Terrakotta-Fließen belegten, krummen Böden,bunten Keramiksäulen, verspielten, goldenen Zwiebeltürmchen undbegrünten Flächen zum Vorbild für 30 weitere Bauprojekte des Malerswerden sollte. Auch für die «Grüne Zitadelle» von Magdeburg, dasletzte von Hundertwasser geplante Projekt, das erst im Oktober -begleitet von heftigen Kontroversen - eröffnet wurde.

Als der bärtige Lebenskünstler 1972 bei einem Auftritt in der TV-Unterhaltungssendung «Wünsch Dir was» erstmals seine Vorstellung vonalternativer Architektur erläutern durfte, konnte er nicht ahnen,dass ausgerechnet sein erstes großes Bauwerk einmal zu einem wahrenPublikumsmagneten werden würde. Schon zum «Tag der offenen Tür» imSeptember 1985 kamen 70 000 Menschen, um das noch unbewohnte Gebäudezu bestaunen, das so gar nicht zu den bürgerlichen Fassaden desvornehmen 3. Wiener Bezirks zu passen schien.

«Sicher wollte er, dass sich viele Menschen sein Werk anschauen»,meint Andreas H. Kraus, der Vorsitzende des Mieterbeirats, der alseiner der ersten Mieter bereits im April 1986 hier einzog: «Aber erhat vermutlich nicht geahnt, was es bedeutet, als Teil eines"Kunstwerks" zum öffentlichen Eigentum zu werden.»

Dabei fühlen sich die Mieter des Hauses Löwengasse/Kegelgassedurchaus wohl in ihrem ungewöhnlichen Haus, in dem keine der 50Wohnungen ist, wie die andere. «In diesem Haus sind einfach so vieleIdeen verwirklicht worden, und Kinderfreundlichkeit und Toleranzgehören zu seiner Philosophie», meint Mieterin Sonja Schak. «Allesind sehr gut zusammengewachsen, und irgendwie hat es noch immer dasAmbiente eines Studentenheims. Die Chemie stimmt zwischen denBewohnern.»

Die vielen Touristen, die in der Fußgängerzone vor dem Orchideen-förmigen Springbrunnen in der Kegelgasse stehen, um das Haus mit denvielen Bäumen und der bunten Fassade zu betrachten, können kaumahnen, was das Leben in dieser Gemeinschaft ausmacht. In den drei bisfünf Minuten, die im Durchschnitt der Vortrag eines Reiseführersdauert, lässt sich der Zauber des ersten Hundertwasserhauses kaumerfassen. «Es gab Zeiten, da haben sie uns regelrecht verfolgt»,erzählt ein Mieter.

Die Geschichte dieses Bauwerks, das nach dem Willen seinesSchöpfers kein Denkmal werden soll, beginnt am 5. Dezember 1977. Zuseinem Geburtstag erhält Hundertwasser einen Brief des Bürgermeistersder Stadt Wien: «Namens der Stadt Wien biete ich Ihnen ein Grundstückzur Errichtung eines Hauses nach Ihren Ideen und Wünschen an...» DerKünstler, der schon 1958 ein «Verschimmelungsmanifest gegen denRationalismus in der Architektur» verfasst hat, lässt sich nicht zweiMal bitten. Das Konzept und die Entwürfe für «sein» Haus liegen 1979vor.

Am 16. August 1983 findet die feierliche Grundsteinlegung statt.Hundertwasser kommt zu der Veranstaltung mit seinem geliebtenschwarzen Mofa, das er auch nach Fertigstellung des Baus nochjahrelang dort parken wird. Architekt und Baumeister ist der WienerJoseph Krawina. Mit den Baukosten von 98 Millionen Schilling (ca. 7Millionen Euro), die von der Stadt getragen werden, liegt das Hausdurchaus im üblichen Rahmen.

Dafür baut Krawina auf 3500 Quadratmetern Nutzfläche 50 Wohnungenzwischen 36 bis 150 Quadratmetern Wohnfläche, 37 Garagenplätze, 4Geschäfte und eine Arztpraxis. Dazu kommen 1000 QuadratmeterTerrassenfläche für 16 private und 3 allgemeine Terrassen. Für dasMauerwerk des Gebäudes nimmt Hundertwasser ausschließlich Ziegel,darunter viele aus alten Abbruchhäusern. Nur die Decken undherausragenden Teile sind aus Stahlbeton.

Charakteristisch und Beispiel gebend - auch für seine späterenBauten - sind die geschwungenen Formen, die bunten Keramik-Kacheln,Friese, versetzten Terrassen, Dachgärten, Innenhöfe und überall dietypischen, goldfarbenen Zwiebeltürmchen. Selbst in die krummen Bödenmit ihren Terrakotta-Fließen sind Keramik-Kacheln eingelassen. FürGehbehinderte oder Rollstuhlfahrer ist das Haus nicht geeignet.

Die Wände der engen Flure sind reichlich geschmückt. Überall sindOrnamente und verschieden farbige Kacheln eingelassen. Unten istPlatz, damit die Kinder im Haus ihre Mal-Lust austoben können.Gelegentlich werden die Graffiti übermalt. Heute leben im WienerHundertwasserhaus nur noch 20 Kinder. «Als wir vor 20 Jahren einzogenwaren es etwa 60, aber die sind eben jetzt schon erwachsen», erzähltMieter Kraus.

Von Anfang an gab es erheblich mehr Interessenten als Wohnungenfür das Haus, in das im März 1986 die ersten Mieter einzogen. Siemussten der Stadt Wien einen Baukostenzuschuss von umgerechnet 350Euro pro Quadratmeter zahlen, erhielten dafür aber praktisch einlebenslanges Wohnrecht. Sehr günstig ist bis heute auch die Miete,die allerdings inzwischen von 2,92 Euro auf 5,02 Euro proQuadratmeter gestiegen ist.

Nach ihrem Einzug mussten die Mieter zunächst erfahren, was esheißt, «eine Sehenswürdigkeit zu sein». «Touristen aus aller Weltklingelten zu jeder Tages- und Nachtzeit, weil sie sich das Haus auchvon innen anschauen wollten.» Mit diesem Andrang hatte niemandgerechnet. Am Anfang gab es für die etwa 3000 Touristen täglich nichtmal eine Toilette. «Einer, ein Wiener, klingelte um zwei Uhr morgensund verlangte Einlass», erzählt Mieterin Sonja Schak: «Du musst michreinlassen, schrie er, schließlich haben wir das Haus mitSteuergeldern bezahlt.» Andere versuchten, sich unauffällig mitBewohnern in das Haus zu schleichen. Privatsphäre gab es für dieGemeinschaft kaum noch.

Mieterin Beate Freimüller-Zink nimmt kein Blatt vor den Mund: «Wasdie Mieter hier von Anfang an geeint hat, waren die Touristen. Siehaben zum Beispiel aus dem Kinderspielraum einen Schauraum gemacht.Es wurde mit dem wachsenden Strom von Schaulustigen immer schlimmer.Unsere Kinder hatten Angst im Abenteuerraum zu spielen, weil ständigneugierige Leute durch die Fenster von draußen nach drinnen schautenund sie beobachteten. Sie kamen sich wirklich vor wie die Affen imZoo!»

Vor allem im Sommer will der Strom der Touristen nicht enden, dieeinen staunenden Blick auf das unkonventionelle Gebäude werfenmöchten. Türkische, japanische, russische, arabische oderitalienische Reisegruppen stehen bei jedem Wetter von früh morgensbis spät am Abend vor dem Gebäude. Die Erläuterung dauert nur wenigeMinuten, dann geht es weiter, oder zum florierenden Souvenirshopgegenüber. Das Hundertwasserhaus steht bei den populärstenSehenswürdigkeiten Österreichs immerhin an 4. Stelle.

Besonders beeindruckt sind die meisten Besucher von den Bäumen undBüschen auf den fast dschungelartig zugewachsenen Balkonen undTerrassen. 900 Tonnen Erde ruhen auf diesen Ebenen, für insgesamtetwa 250 Pflanzen und Bäume. Auf den Terrassen wurden 60 ZentimeterErde aufgetragen. Extra für das Haus wurde ein besonderes Be- undEntwässerungssystem entwickelt. Drei Bäume wachsen auf Balkonen.Diese so genannten Baummieter werden mit Wasser aus den Toiletten derjeweiligen Wohnungen versorgt.

«Die Gärten sind sensationell. Man kommt von der Arbeit heim,nimmt sich einen Liegestuhl, erzählt Andreas Kraus. «Als die Kinderklein waren, konnten sie im Garten spielen. Touristen sehen das allesnicht.» Ein kleines Problem gab es mit den Dachgärten. «Das vonHundertwasser angestrebte Ziel der "natürlichen Begrünung" konntenwir aus Liebe zu den Pflanzen nicht verwirklichen. Wegen der Art derBepflanzung wären sie bei heißen, trockenen Sommern verbrannt. Wirhaben sie im Gegensatz zu seinen Plänen gegossen. Hundertwasser hatteauch die Beschneidung der Bäume verboten. Das steht in unserenMietverträgen. Wenn Sie so wollen, gibt es da also einSpannungsverhältnis zwischen Hundertwassers Idealen und denNotwendigkeiten der Gärtnerei.»

Doch trotz der nervenden Touristen und der kleineren Problemefühlen sich die Mieter nach eigenem Bekunden wohl. Für AnneliesBrauch und Gerhard Rosentis, die erst 1996 einzogen, nachdem eineWohnung frei geworden war, «gibt es aus künstlerischer Sicht keinzweites wie dies».

Mieterin Keiko Pfleger, die seit 13 Jahren hier wohnt, hatmittlerweise 3 Kinder bekommen. Sie mag vor allem dieKinderfreundlichkeit der Hausgemeinschaft. «Die Kids haben sehr vielSpaß hier.» Allein schon der Abenteuerraum im 2. Stock sei es wert,schwärmt die aus Japan stammende Bewohnerin. «Die Kinder bringenimmer viele Freunde mit. Sie haben einfach viele Freiheiten hier!»

Doch das Wiener Hundertwasserhaus altert sichtbar und spürbar.Probleme sind langfristig vorprogrammiert. Die Zahl der notwendigenReparaturen steigt. «Nach 20 Jahren müssten wir eigentlich an eineumfassende Renovierung denken, aber wer soll das tun? Hundertwasserist tot, und eigentlich könnte nur er eine solche Arbeit machen»,meint Sonja Schak.

Obwohl das erste Hundertwasserhaus ein unerwartet großer Erfolgbei den Touristen geworden ist und 500 Interessenten auf derWarteliste für eine frei werdende Wohnung stehen, stößt es beimkonservativen Wiener Establishment noch immer auf große Skepsis. DieVorbildwirkung auf die zeitgenössische Architektur ist minimal. DasArchitekturzentrum Wien (www.azw.at) etwa hat keinerlei Interessegeäußert, das Gebäude als beispielhafte Architektur in seineDatenbank aufzunehmen. Hundertwasser findet hier praktisch keineErwähnung. Andere standen seinem Projekt von Anfang an fastfeindselig gegenüber.

Hundertwasser sagte einmal: «Ein Maler träumt von Häusern undeiner schönen Architektur, in der der Mensch frei ist, und dieserTraum wird Wirklichkeit.» Vor seinem Tod musste er eingestehen, dassseine Idee keine Nachahmer gefunden habe. Dazu seine Mieterin Schak:«Es ist schon enttäuschend, dass es zwar ein paar Tausend Websites zuHundertwassers Leben und Tod gibt, aber nur eine Handvoll zu seinemersten Haus.» Und Hausbewohnerin Freimüller-Zink meint enttäuscht:«In Österreich gelten die eigenen Leut halt nix.»