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Archäologie Archäologie: Wissenschaftler auf der Spur der verlorenen Legionen

Von GÜNTER KOWA 22.12.2008, 17:49

HALLE/MZ. - So ist die Schlacht von Agincourt im Jahr 1415 in Englands nationale Mythen eingegangen. Auch Frankreich hat seine Toten nie vergessen: Ein Kreuz ehrt "5 700 tapfere Soldaten".

Allein - die angeblich blutgetränkte und streng bewachte Erde birgt keinen einzigen Knochen, nicht die Spur einer Schlacht, rein gar nichts. Es gab den Kampf im Schatten der Burg von Agincourt, aber nicht an dieser Stelle. Mit dieser Erkenntnis ernüchterten ausgerechnet englische Archäologen die Anwohner und die Historikerzunft. Die noch junge Wissenschaft der "Schlachtfeldarchäologie" rückte Gewissheiten zurecht.

Unlängst war an der Universität Halle der erste "Mitteldeutsche Archäologentag" des Landesamts für Archäologie - künftig jährlich geplant - eben diesem Forschungszweig gewidmet. Der Anlass war aktuell und lokal: Derzeit wird bei Lützen das Schlachtfeld sondiert (jedoch vorerst nicht ausgegraben), auf dem der protestantische Schwedenkönig Gustav Adolf 1632 im Kampf gegen die katholische Liga tödlich verwundet vom Pferd fiel. Während die akribisch kartierten Funde von 700 Bleikugeln nebst Gürtelschnallen, Uniformknöpfen und sogar Zapfhähnen noch als ungeahnte Zeugen bestaunt werden, entwarf die Tagung das Panorama einer längst weltweit "fündigen" Wissenschaft.

Diese wirft neues Licht auf Wendemarken der Geschichte, wie keine papierene Abhandlung es je könnte. Sie macht Schulbuchwissen lebendig. So war in Halle etwa von dem Frankfurter Emeritus Siegmar von Schnurbein zu hören, wie Caesar in seinem Bericht vom "Gallischen Krieg" zwar nichts Falsches, aber doch vereinfacht Zugespitztes schrieb, weil der römische Senat sein Adressat war, und dieser "griffig" informiert sein sollte.

Vor allem über die Zweifrontenschlacht gegen Vercingetorix in Alesia: Den doppelten Ring von Wallgräben 20 Kilometer um die belagerte Bergstadt in Burgund muss man entgegen dem Text auf drei erhöhen, mit Palisaden zwischen zwei inneren und einem äußeren Ring, verbunden durch Quermauern. Gräben, Fußangeln und Astverhaue sollten das anrückende keltische Entsatzheer abhalten. Auch dass einzelne Krieger vordringen und sich in den Gräben verschanzen würden, scheinen die Römer einkalkuliert zu haben.

Oder Kalkriese: Da ist es Tacitus' Bericht über die Varusschlacht, den die Archäologen nunmehr mit einiger Gewissheit in einer Senke zwischen Wiehengebirge und den Tieflandmooren vor Bramsche verorten. Die Legionäre wurden im Hinterhalt niedergemetzelt. Ihre Leichen sowie die Tierkadaver, sagt Tacitus, blieben sechs Jahre lang liegen, bevor sie verscharrt wurden. Auf entsprechende Verwesungsspuren deuten die Knochenfunde hin, erhellte die Göttinger Anthropologin Birgit Großkopf.

Die Wissenschaft will ihren Wert als eigenständige Quellenkunde beweisen. Das betonen vor allem die Forscher der angelsächsischen Welt. Der Doyen der amerikanischen Schlachtfeldarchäologie, Douglas Scott, machte ballistische Experimente, um am "Little Bighorn" den Untergang des Generals Custer 1876 im Kampf gegen die Sioux-Indianer zu erklären: Diese waren nicht nur in der Überzahl, sondern besaßen ebenso moderne Waffen wie die Soldaten. Die Engländer wiederum rekonstruieren an ihren Schlachtfeldern die historische Topografie, um den Ereignisverlauf nachzuzeichnen.

Doch die Wissenschaft steht selbst im Kampf: gegen den Vandalismus der Sondengängerei. Die Raubgräberei mit Hilfe von Metalldetektoren reißt Funde aus dem Kontext und reduziert sie zu Versteigerungslosen bei Ebay. In England ist die Schatzsuche Volkssport. Die Schlachtfelder sind nur wenigen als Denkmale bewusst.

Doch mit dem Ruf nach mehr adäquatem Schutz hatte die Konferenz ein mehr als delikates Problem. Ihr Sponsor war die Mibrag - das Bergbauunternehmen, das den Braunkohletagebau auch nach Lützen ausdehnen will. Seit neuestem springt die Mibrag auch der Stadt Lützen finanziell bei, die die Untersuchungen am Schlachtfeld bisher getragen hat.

"Der Tagebau", jubelte Mibrag-Geschäftsführer Heinz Junge in seinem Grußwort, "öffnet ein Zeitfenster auf die Vergangenheit". Die unumgängliche Vernichtung von Landschaft, wenn das Fenster erst geschlossen ist, erwähnte er nicht. Das Schlachtfeld von Lützen, beruhigte der Landesarchäologe und Tagungsleiter Harald Meller, stehe mittlerweile unter Denkmalschutz. Doch der hat noch kein Bauwerk vor den Kettenbaggern bewahrt. Gewiss: Man hat die Kirche von Heuersdorf auf Tieflader gepackt und nach Borna gekarrt. Aber ein Schlachtfeld passt auf keinen Lkw.