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Anton Tschechow Anton Tschechow: Er legte sich still auf die linke Seite

Von Andreas Hillger 14.07.2004, 13:14
Ein Besucher legt an Anton Tschechows Grab auf dem Friedhof des Neujungfrauen-Klosters in Moskau Blumen nieder (Foto vom 02.07.2004). Vor 100 Jahren am 15. Juli 1905 starb der russische Schriftsteller an Schwindsucht im deutschen Kurort Badenweiler. (Foto: dpa)
Ein Besucher legt an Anton Tschechows Grab auf dem Friedhof des Neujungfrauen-Klosters in Moskau Blumen nieder (Foto vom 02.07.2004). Vor 100 Jahren am 15. Juli 1905 starb der russische Schriftsteller an Schwindsucht im deutschen Kurort Badenweiler. (Foto: dpa) dpa

Halle/MZ. - Der Tod kam in Badenweiler,als der kenntnisreiche Arzt längst zum Patientengeworden war: In der Nacht des 15. Juli 1904,den Tschechow nach altem russischem Kalender13Tage zurückdatierte, verlangte der Kurgastein Glas Champagner, "legte sich still aufdie linke Seite und war bald für immer verstummt".So erinnert es seine Frau in ihren Memoiren.Der Dichter Maxim Gorki beobachtete die Überführungseines Kollegen in die Heimat: "Und die Banalitäträchte sich an ihm mit einem Streich, indemsie seinen Leichnam - den Leichnam eines Dichters -in einen Waggon zum Transport von Austerngestellt hatte."

Ein Sterben in fremden Land und unter andererZeitrechnung, die Delikatessen der Dekadenzals Wegzehrung für das Jenseits: Es klingtwie eine Anekdote, die man sich im "Kirschgarten"oder im Salon der "Drei Schwestern" erzählenkönnte. Und doch war Anton Tschechow, derim Januar 1860 in Taganrog geboren wurde undeine erfolgreiche Doppel-Karriere als Arztund Autor wählte, an diesen Orten nicht heimisch.Er hat von ihnen erzählt, mit jenem seltsamen,leisen Humor, der allzu lange als Melancholieund "russische Seele" missverstanden wurde.Und er hat sie analysiert mit dem kühlen Interesseeines Mediziners, der nach den Krankheitendes Einzelnen und der Gesellschaft sucht.

Dass sich die menschliche Natur seither weniggeändert hat, lässt seine Werke bis heutegültig und wichtig erscheinen: Immer wiedergreifen deutschsprachige Theater auf Stückewie "Onkel Wanja" oder "Die Möwe" zurück,die ihre ursprüngliche Lesart dem MoskauerKünstler-Theater um Konstantin Stanislawskiverdankten. Für junge Regisseure wie StefanPucher ist die Auseinandersetzung mit demWerk des Russen gar zu einer Obsession geworden.Der beste deutsche Kenner Tschechows abermeidet die Theater inzwischen, weil ihm dieWerktreue zu wichtig ist.Peter Urban, der neben den Übersetzungender Stücke und Briefe auch eine Chronik undeine Bildbiografie zu Tschechow vorgelegthat, stellt sich im Jubiläums-Jahr der größtenHerausforderung.

Zusammen mit den Erzählungen, denen Tschechowseine ersten Erfolge verdankt, realisierter im Alleingang für den Diogenes-Verlag diegrößte nicht-russische Werkausgabe. Vorliegensoll sie im Jahr 2010, zum 150. GeburtstagTschechows. Das das Besondere an Tschechowsei? Urban muss nicht lange überlegen. "EinLeben ohne Gewalt und Lüge" habe der Dichterin seinen Texten verhandelt, deren klare Logikin den bisherigen Übersetzungen oft zugunsteneines sentimentalen Tons geopfert würde.

Der Dichter selbst hat es in einem Aufsatzüber einen großen britischen Ahnen so formuliert:"Shakespeare muss immer und überall gespieltwerden, und sei es nur zur Erfrischung, wennnicht gar zu Belehrung oder irgendwelchenanderen mehr oder minder erhabenen Beweggründen."Dieser Satz lässt sich - hundert Jahre nachseinem Tod - ohne Abstriche auch auf AntonPawlowitsch Tschechow und sein Werk anwenden.