Anne Wills Sendung zu 1914 Anne Wills Sendung zu 1914: Von Schlafwandlern und Welterklärern

Berlin - 1914, das war vor genau 100 Jahren. Und weil die Menschen es nun mal gern genau haben, weil sie gern Jubiläen feiern, ist das für viele ein Grund, darüber nachzudenken, was damals geschehen ist. Die allgemeine Meinung: Es war die Urkatastrophe des vergangenen Jahrhunderts.
Wie immer bei solchen Anlässen haben sich zwei Berufsgruppen besonders durch Nachdenken hervorgetan: Journalisten und Historiker – erst dann kommen die Politiker. Das in etwa war der grobe Rahmen gestern bin Anne Will. Thema: „100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg - wie stabil ist Europa heute?“
Eines vorweg. Als die Gastgeberin den Abend mit den Worten beendete: „Hätte gar nicht gedacht, dass es so viele Anküpfungspunkte gibt", gab es auch die Möglichkeit zu denken: „Hätte mir gewünscht, wenn nicht so viel verknüpft worden wäre.“
Höfliches Privatduell von Winkler und Clark
Vier Gäste waren geladen. Die Sitzordnung von links nach rechts: Heinrich August Winkler, 75, Historiker, Gesine Schwan, 71, Historikerin, Politikerin, Christopher Clark, 54, Historiker, und ganz rechts Oskar Lafontaine, 70, Politiker, Welterklärer. Gästedurchschnittsalter: 67,5 Jahre. Na, dann los.
Winkler, ein verdienter Mann, der auch um seine Verdienste weiß, gab an diesem Abend zu verstehen, dass er in Clark einen würdigen Gesprächspartner gefunden hat. Er mochte den Briten sogar, der die Schuld der Deutschen an der Urkatastrophe zuletzt ein wenig gemindert hat. Heißt es zumindest. Aber es mochten sich ohnehin alle.
Für Winkler ist das nicht selbstverständlich. Er ist ja zurzeit, wie er sagte, ein wenig in Sorge, weil viele seiner jüngeren Kollegen bedenkliche Sachen sagen. Und ganz ohne Kollegenbashing kam er dann doch nicht aus.
Der Begriff Schlafwandler, mit dem Clark die Ursachen des Ersten Weltkriegs erklärt: „Schlafwandler – wachsam, aber blind, von Alpträumen geplagt, aber unfähig, die Realität der Gräuel zu erkennen, die sie in Kürze in die Welt setzen sollten“, diese Schlafwandler seien gar keine schlafenden Menschen gewesen. Das greife zu kurz, sagte Winkler, verharmlose nahezu!
Das stimmt irgendwie. Schlafwandler sind auch wach. Man sollte bei der ARD vielleicht über ein Historiker-TV-Quizduell im Vorabendprogramm nachdenken.
Wie stabil ist Europa heute
Winkler hat es übrigens auch geschafft Ruanda, Auschwitz und Bosnien-Herzegowina in einem, wenn auch verschachtelten Satz zu verstauen. Man selbst fühlte sich an die vielen Hobbyrentnerhistorikerstudenten in den Geschichtsseminaren erinnert, die auf eine einfache Frage immer erklären wollten, was die Welt in Inneren und Äußeren zusammenhält. Da war man dann froh, als Clark über das heutige Europa sagte: „Das Gefüge ist noch fest.“
Während Winkler und Clark ihr höfliches Privatduell austrugen, fanden am Ende der Sendung auch Schwan und Lafontaine zusammen. Sie fanden jedenfalls ein Thema, das sie aus der Rolle des gemütlichen Nickens und Einanderverstehens aufscheuchte. Schwan gestand nämlich, keine Pazifistin zu sein. Ein Argument genügte ihr: Nazideutschland musste man mit Gewalt begegnen.
Dagegen lässt sich nichts sagen. Lafontaine ist aber Politiker, und die sprechen in der Regel über die Vergangenheit, wenn sie ihnen auch in der Gegenwart nützt. Er sei nicht grundsätzlich gegen Kriege, sagte er, aber gegen die Kriegsgründe der jüngeren Vergangenheit. „Man darf nicht nur die Brille einer Partei haben“, sagte er noch. Zwei sind wohl besser. Aber das erklärt im Nachhinein eher einen anderen Sachverhalt.
Bleibt noch die Ausgangsfrage: Wie stabil ist Europa heute? Dazu vielleicht am besten Clark: „Es gibt eine größere Bereitschaft, Selbstkritik zu üben als früher.“ Immerhin.