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Anhaltisches Theater Anhaltisches Theater: Maskenspiel im Spiegelbild

Von ANDREAS HILLGER 20.06.2010, 17:51

DESSAU/MZ. - Der Tod schiebt eine ruhige Kugel: Langsam kreist das Geschoss an der Wand des Trichters abwärts zu dem leuchtenden Kreuz, das den Sitz des Lebens markiert. Und die Musik schweigt dazu - die doppelbödige Trivialität, die falsche Süße und das hysterische Gelächter verstummt in einer Totenstille, die nur vom mahlenden Geräusch des Balles grundiert wird. Alles fällt in diesem Moment zusammen - die unglückliche Liebe des schwedischen Königs Gustav zur Frau seines treuen Freunds Anckarström, der ungewollte Verrat seines Pagen und die Prophezeiung der Hexe Ulrica.

Als das Anhaltische Theater Dessau Giuseppes Verdis "Un ballo in maschera" auf den Spielplan setzte, konnte man noch nicht ahnen, dass die Premiere am Vorabend einer Hochzeit im schwedischen Königshaus über die Bühne gehen würde. Von historischen Pomp aber ist Roland Schwabs Inszenierung ohnehin weit entfernt: Sein imaginäres Schweden ist eine Bühnenmaschine, auf dem die royale Rolle am Anfang ebenso per Los bestimmt wird wie die Partien der Verschwörer - und das Mittel zur öffentlichen Wahrnehmung ist ein gigantischer Spiegel, der den Zuschauern Einblicke in tote Winkel gewährt oder die Kehrseite der Pracht zeigt. Die Spielmacher aber sind der Diener und die Wahrsagerin, die sich ihrer Stellung in dieser Theatertruppe bewusst sind.

Fülle an Einfällen

Allein dieser aus der Theaterbegeisterung des realen Vorbilds Gustav. III entwickelte Ansatz hätte für einen spannenden Abend genügt, Schwab aber will mehr - und greift allzu oft in jene Kiste, auf die sein Bühnenbildner Hartmut Schörghöfer das düstere Wort "Pandora" geschrieben hat. Da finden sich Clownsnasen und Blumensträuße, Brautschleier und Zauberkräuter. und als sich der König für seinen Besuch beim Orakel verkleidet, fällt das schon längst nicht mehr auf, weil hier alle Masken tragen. Es ist die Fülle an Einfällen, die der Idee im Wege steht und die zwischen der bösen Ironie und bloßen Illustration keine eindeutige Perspektive auf die Geschichte entwickelt. Bildgewaltig und überraschend aber ist der Abend allemal - und lediglich das dröhnende Gelächter, das der Regisseur seinen Figuren immer wieder in den Mund legt, muss man ihm wirklich übelnehmen. Denn das böse Lachen obliegt in dieser Oper dem Orchester - und die Anhaltische Philharmonie spielt unter ihrem Generalmusikdirektor Antony Hermus auch diesen Verdi auf einem unerhörten Niveau. Der Thrill der düster romantischen Friedhofsszene ist ihnen so geläufig wie der angeheiterte Taumel der Ballszenen, das innige Gebet Amelias ist hier so gut aufgehoben wie die aufgesetzte Fröhlichkeit des Hofstaats. Und wenn Anckarström seinen Nebenbuhler aus einer fratzenhaften Kapelle heraus schließlich mit einem Geigenbogen ersticht, dann ist dies nur konsequent: Im "Maskenball", der in Dessau mittlerweile ganz selbstverständlich in Originalsprache über die Bühne geht, mordet die Musik. Und man genießt den Sog in die Katastrophe in jeder Sekunde. Das ist auch ein Verdienst der Solisten, unter denen sich Iordanka Derilova und Ulf Paulsen im Furor ihrer Liebe und ihrer Verzweiflung den größten Applaus verdienen. Dieses stimmlich wie spielerisch todsichere Paar findet in Hector Sandovals König einen Mit- und Gegenspieler, der eher die leichtsinnige Lust als die drückende Last der Macht betont und dessen Würde in bester Theatermanier von den Anderen behauptet wird.

Meister des Totentanzes

Dafür ist vor allem Cornelia Marschall als bravouröser Zeremonienmeister des Totentanzes zuständig, der jedes Wort in eine Volte und jede Geste in einen Scherz verwandeln kann - und der in der Schicksalsgöttin der Rita Kapfhammer seinen dunkel getönten Widerpart findet. Auch Wiard Witholts Seemann und die Verschwörer von Nico Wouterse und Rosen Krastev balancieren sicher auf dem schmalen Grat zwischen dem raunenden Schicksal der Musik und dem mutwilligen Spiel der Inszenierung. Und Helmut Sonne zeigt mit seinem Opernchor, dass die zuletzt bemühte Verstärkung von außen vor allem quantitativ nötig ist - qualitativ genügt das hauseigene Ensemble höchsten Ansprüchen. Dass dieser Verdi die hauseigene Tradition auf neuer Höhe fortsetzt und zudem einen Spiegel als Mittel der Entlarvung benutzt, wo er zuletzt im "Macbeth" der Denunziation diente, rundet sich zum würdigen Abschluss dieser Musiktheater-Saison - auch wenn der Doppel-Mord in der Applausordnung die Premieren-Begeisterung eine kurze Schrecksekunde beimischte.

Nächste Vorstellungen: 27. Juni und 3. Juli, jeweils 17 Uhr