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Anhaltisches Theater  Anhaltisches Theater Dessau-Roßlau zeigt "Mein Kampf" als Wiener Männerasyl

Von Kai Agthe 10.10.2016, 18:42
Hitler (Andreas Hammer, li.) textet Schlomo (Gerald Fiedler) zu. Gretchen (Mirjana Milosavljevic) staunt.
Hitler (Andreas Hammer, li.) textet Schlomo (Gerald Fiedler) zu. Gretchen (Mirjana Milosavljevic) staunt. C. Heysel

Dessau-Roßlau - Schlomo Herzl steht seinem Gott gegenüber und diskutiert mit ihm über neue Gebote. Dass diese Szene aber nicht im Jenseits, sondern ganz im Diesseits verortet ist, wird schnell klar, weil Schlomo (Gerald Fiedler) bald die Lust verliert, Lobkowitz (Dirk S. Greis), seinen Mitbewohner in einem Wiener Männerasyl, der gern mal Gott spielt, mit „O Herr“ und „Allmächtiger“ anzureden.

Zwischenzeitlich hüpft ein junger Kerl in Lederhose und Trachtenjankerl zu den Klängen des Schlagers „Heidi“ durch die Bettenreihen des Männerheims (Bühne und Kostüme: Katharina Sichtling), um genau so schnell wieder zu verschwinden wie er erschienen ist. Dieser Mensch wird dem Zuschauer wenig später als Adolf „Adi“ Hitler (Andreas Hammer) vorgestellt, der seinen Heimatort Braunau verließ, um Kunststudent in Wien zu werden.

Das Drama „Mein Kampf“ von George Tabori (1914-2007) ist ein anschaulicher Beleg für die These von Karl Marx, dass sich Geschichte immer zweimal vollzieht: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce. Tabori war überdies der festen poetischen Überzeugung, dass wirklicher Humor nur schwarz sein könne - und widmete Hitler vor 30 Jahren ein possenhaftes Lustspiel, also eine Farce.

Dominique Horwitz: Schauspieler aus Weimar inszenierte "Mein Kampf" in Dessau-Roßlau

Der in Weimar lebende Schauspieler und Sänger Dominique Horwitz, bekannt aus dem Weimarer ARD-„Tatort“, hat Taboris „Mein Kampf“ jetzt im Alten Theater in Dessau auf die Bühne gebracht.

Wie kam es zu dem Regie-Auftrag in Dessau? „Die neue Schauspieldirektorin Almut Fischer hat mich angefragt. Ich hatte Zeit und vor allem Lust“, sagt der 59-Jährige. Und was fasziniert ihn an dem Tabori-Stück? „Zunächst die Zuversicht, dass das Gute obsiegt, die Menschlichkeit sich gegen die Dummheit und Ignoranz durchsetzt“, erklärt Horwitz und ergänzt: „Das Lebensbejahende, die Musik und das Lachen spielen in dieser Farce die Hauptrolle.“

Das fasst den Ansatz, den Horwitz für seine Inszenierung des Kammerspiels wählt, präzise zusammen. Es wird hier nicht nur eine Episode aus dem Leben des jungen Hitler erzählt, den bei Tabori der alte Jude Schlomo Herzl unter seine Fittiche nimmt, sondern das Bizarre des Geschehens eben auch durch Musikeinspielungen von zeitgenössischen Liedern unterstrichen, zu denen Songs von Westernhagen und Rammstein sowie die Titelmelodie der „Olsenbande“-Filme gehören.

Schlomo erzählt Hitler von „Mein Kampf“

Ehe Hitler bei Tabori Gelegenheit hat, sich als Künstlertalent und Vertreter eines „radikalen Realismus“ vorzustellen, dem eine rhetorische Begabung ebenso eigen sei wie die Familienschwäche der Verstopfung, verrät Schlomo seinem Freund Lobkowitz, mit dem er seit Jahren im Asyl haust, dass er ein Buch schreibe.

Das soll „Mein Leben“ heißen. Ein Titel, den Lobkowitz als wenig verkaufsfördernd ablehnt. Auch „Warten auf Schlomo“ oder „Ecce Schlomo“ findet er langweilig. Als ihm schon die Ideen ausgehen, ruft Schlomo zuletzt: „Mein Kampf.“ – „Das ist es!“, kann Lobkowitz noch sagen - dann schlägt der Blitz ein.

Ist Taboris Werk gedacht als Drama über Hitlers frühe Jahre, so ist es doch auch und vor allem ein Stück über Schlomo Herzl. Gerald Fiedler, der zum Urgestein des Dessauer Schauspiel-Ensembles zählt, verkörpert den alten Juden sehr berührend als weisen und mitfühlenden, an seinem Leben und Glauben zwar zweifelnden, aber dennoch frohgemuten Mann, der dem mal antisemitisch geifernden, mal kindlich-hilflosen Hitler in kurzen Hosen (wahnsinnig- bravourös: Andreas Hammer) seinen Zuspruch nicht versagt, auch wenn der konfuses Zeug wie „Die Juden und die Radfahrer sind an allem schuld!“ krakeelt.

Heinrich „Heini“ Himmlisch als Heinrich Himmler

Lobkowitz (abgeklärt bis zynisch: Dirk S. Greis) freilich verstört die Zuwendung, die Schlomo Hitler zuteil werden lässt: „Wie du ihn bemutterst, das grenzt ja schon an Masochismus.“

Dieser Art dürfte auch Schlomos Verhältnis zu Gretchen (Mirjana Milosavljevic) sein, die ihn jeden Samstag im Männerasyl besucht und mit den Worten umgarnt: „Ich könnte dich knuddeln, so hässlich bist du.“

Da das Mädchen ihrem Schlomo ein Huhn namens Mizzi zum Geschenk macht, kann Tabori auch noch Heinrich „Heini“ Himmlisch (fanatisch: Stephan Korves) auftreten und ihn detailliert über das sachgerechte Töten und Zerteilen von Federvieh monologisieren lassen. Bekanntlich war Heinrich Himmler, ehe er im NS-Staat zum Reichsführer SS aufstieg, im Nebenerwerb Hühnerzüchter.

Adolf Hitler in Seppelhosen

Für Hitler kommt es, wie es kommen muss: Von der Kunstakademie als unfähig abgelehnt, empfiehlt ihm ausgerechnet Schlomo, Politiker zu werden. Es ist auch der alte Jude, der den „grundanständigen Arier“ (Hitler über Hitler) beim Erscheinen von Frau Tod (eiskalt und doch liebevoll: Christel Ortmann) verleugnet.

Als sie erneut auftritt, nimmt sie Hitler jedoch mit sich – aber nicht als Opfer, sondern als Täter. Denn im Umgang mit der Sense sei dieser Adolf einzigartig, meint Frau Tod. Und so führt sie ihn großen Zeiten entgegen. Die Folgen sind bekannt.

Wer auch über Hitler in Seppelhosen lachen möchte, der schaue sich in Dessau Dominique Horwitz’ gelungene Inszenierung mit einem großartigen Gerald Fiedler an!

Nächste Aufführungen: Dienstag 15 Uhr, Donnerstag 15.30 Uhr sowie am 3. und 25. November jeweils 18 Uhr (mz)

Dominique Horwitz
Dominique Horwitz
dpa