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Anhaltisches Theater Dessau Anhaltisches Theater Dessau: Der graue Glanz der Elenden

Von Johannes Killyen 24.03.2003, 15:45

Dessau/MZ. - Kein Stoff ist zu groß, keine Vorlage zu tragisch für's Musical. Menschen, die am Abgrund stehen, können sich hier weich ins Polster einer Musik fallen lassen, die schon im Augenblick der Katastrophe Heilung verspricht durch Zuckerguss und Pathos. Wenn das Straßenmädchen Eponine in Claude-Michel Schoenbergs Adaption des Hugo-Klassikers "Les Misérables" ihr Liebesleid hinaus ruft über die Bühne - dann wird sie vom Orchester auf einer Welle von Klang hinweg getragen in ein fernes Land, wo alles gut ist und die Menschen sich lieb haben.

Das Wagnis der Musikalisierung hat sich gelohnt: Von Paris aus eroberten "Die Elenden" London, New York - und setzten sich schließlich auf deutschen Stadttheater-Bühnen fest. Mit seiner Detmolder Produktion ist Ulf Reiher durch die halben Republik getourt - und hat nun auch am Dessauer Theater eine Inszenierung (Premiere war Freitag) vorgelegt, die von den Vorteilen der festen Spielstätte profitiert. Sie zu nutzen war Pflicht angesichts einer Schwindel erregenden Folge von Wirtshausszenen, Straßenkämpfen und Stelldicheins. Die Welt um den zum Gutmenschen geläuterten Sträfling Valjean hat Walter Perdacher (Bühnenbild) in proletarisches Grau gekleidet, dessen Tristesse die bunten historischen Kostüme (Cordula Stummeyer) wirksam hervor hebt.

Ulf Reiher, der die Statuarik meidet wie sein Protagonist Valjean das Unrecht, führt geschickt das gewaltige Ensemble und bedient sich gern filmischer Mittel: Gaze-Vorhänge nutzt er zur Rückblende und wechselt an der Barrikade der Pariser Revolte von 1832 mittels Drehbühne ständig die Perspektive.

Zudem hat der Regisseur eine solide Solisten-Crew an der Hand, in der sich Musical- und Opernsänger gut ergänzen: Jerzy Jeszke gibt einen sensiblen parlierenden Valjean und findet in Kostadin Arguirov (Javert) einen bewusst hölzernen Gegenspieler. Pavel Safar und Hildegard Wiczonke präsentieren mit Robustheit die komischen und schaurigen Facetten des Wirtshaus-Paars Thénardier.

Glanz bringen dagegen vor allem Christina Gerstberger (makellos als Valjeans Ziehtochter Cosette), Kristina Baran (kraftvoll als Eponine) und Anne Weinkauf (gerissen als Straßenjunge Gavroche) auf die Bühne. Sie stellten zur gefeierten Premiere Peter Diebschlag und Kai Bronisch als Studentenrevolutionäre Marius und Enjolras ebenso in den Schatten wie die Anhaltische Philharmonie - die unter Leitung von Robert Hanell vor allem zu Beginn träge agierte und sich klanglich erst allmählich in der Traumfabrik Musical zu Hause fühlte.

Nächste Aufführung: Samstag, 29. März, 17 Uhr.