Hooliganbuch mit Happy End "An den Wochenenden": Peter Winzer aus Halle schreibt Buch über gewalttätige Fußballfans

Halle (Saale) - Pit steht tagsüber in der Werkhalle und schweißt. Bleche, Bleche, Bleche, immer wieder Bleche, das Leben ist öde und langweilig und der Mittzwanziger, ein Künstler mit dem Schweißbrenner, fühlt jede Minute, wie ihm die Zeit wegläuft. Viel zu langsam kommt das Wochenende, viel zu langsam nahen die Momente, in denen Pit sich lebendig fühlt.
Das ist in Peter Winzers Roman „An den Wochenenden“ (hier bei Amazon kaufen) immer dann, wenn es zum Fußball geht. Gemeinsam mit seinen Kumpels Kalle und Skipper wird der begnadete, aber dauerunzufriedene Schweißer dann zu einem jener Fußballfans, die von den Behörden als „gewaltsuchend“ beschrieben werden. Junge Männer, voll im Saft und getrieben von gähnender Langeweile, die sich mit gleichgesinnten Anhängern anderer Vereine treffen, um sich im Namen der Ehre ihrer Klubs gegenseitig zu verprügeln.
Autor Peter Winzer blickt hinter die Maske des Bösen
Wo Oliver Stones berühmtes Football-Drama „An jedem verdammten Sonntag“ die Innereien eines Sports ausstellte, der sich selbst als glamourös verkauft, zeigt Peter Winzer die Menschen hinter der Maske des Bösen, die an jedem Wochenende für Ausnahmezustände rund um Stadien und Bahnhöfe sorgt.
Die grölende Masse, die Angst und Schrecken verbreitet, hier zerfällt sie in einzelne Figuren, die zwischen Gruppenzwang, Tradition und dem Gefühl schwanken, das Leben müsse noch anderes zu bieten haben als niedergestreckte Gegnerfans, verwüstete feindliche Innenstädte und gerächte eigene Opfer.
Es ist ein Blick in eine absurde Welt mit fast steinzeitlichen Wertvorstellungen, die Peter Winzer ganz genau kennt. Der gelernte Instandhaltungsmechaniker, der sich zu DDR-Zeiten als Friedhofsgärtner durchschlug, hat nach dem Ende der DDR jahrelang als Sozialarbeiter im Milieu von Hooligans und Ultras gearbeitet. Akzeptierend heißt die Art des Umgangs mit den Problemkindern der Wohlstandsgesellschaft, die Umgang überhaupt erst ermöglicht.
Winzer, in Halle geboren, aufgewachsen und mit dem früh und tragisch verstorbenen Matthias Baader-Holst, Gründer der illegalen Kunstschrift „Galeere“, enthält sich auch sein Romandebüt jeder Verurteilung seiner eher spröden als liebenswerten Helden. Pit sehnt sich nach Wärme und Liebe, prügelt aber los, sobald sich eine Gelegenheit ergibt. Kalle schmuggelt Drogen und hat Geld, aber auch Probleme mit der Mafia. Der von allen bewunderte Skipper schließlich ist ein Frauenheld, der nichts von Frauen hält, sondern sie erniedrigt und erpresst.
Pit ist neidisch, denn für Grit, die bewunderte Chefsekretärin, scheint er nur als Schweißer, nicht aber als Mann zu existieren. Dany dagegen, die Nachbarin, die er lange überhaupt nicht wahrgenommen hat, interessiert sich für ihn. Er aber überlässt sie seinem Skipper, weil er die subtilen Signale nicht versteht, die das Mädchen aussendet.
Planung von Schlachten mit anderen Fans kostet viel Kraft und Zeit
Pits Welt ein Herrenklub, bierselig, trist und brutal. Der Blick hinaus ins Freie zeigt den jungen Männern wie denen in Clemens Meyers großem Roman „Als wir träumten“ eine Landschaft, in der ums Überleben gekämpft werden muss. Viel Zeit und Kraft wenden Pit und seine Freunde für die Planung von Schlachten mit anderen Fans auf, blitzblank muss der eigene Ruf gehalten werden. Denn der sorgt dafür, dass andere, jüngere und unerfahrenere Kollegen in der Kurve bewundernd aufschauen zur coolsten Gang im ganzen Stadion.
Winzer, Ende 50 und schon in seinen Gedichten ein rauer Reimer der Realität, lässt Pit seine Geschichte selbst erzählen. Dadurch fällt jede Möglichkeit weg, zu ergründen, woher die Wut kommt, die Verachtung und der Selbsthass, die der Hobby-Hooligan auf die Gesellschaft projiziert. Pit hat keine Geschichte, kein Herkommen, er ist, wie er ist und das ist bis hierher auch gut so.
Das Spielfeld endet nicht am Stadionzaun
Schweißen, Rauchen, Saufen, Pennen, Fußball, Schlagen und in einer guten Woche zwischendurch auch mal mit jemand anderem schlafen als mit den eigenen Fingern - aus mehr besteht es nicht, das Leben des finanziell stets abgebrannten, moralisch aber noch lange nicht verlorenen Hooligan-Helden. In Pit wohnt ein Herz, gepanzert mit derben Sprüchen und harten Fäusten, das auf den 286 Seiten von Winzers Geschichte erst ganz, ganz langsam kenntlich wird.
Aus dem garstigen Hooligan-Drama mit vielen expliziten Sex-Szenen wird ein Liebesroman, fast unbemerkt. Einer wie Pit wäre der Letzte, der sich eingestehen würde, dass Dany, die neunmalkluge Nachbarin mit der Vorliebe für Tom Waits, gar nicht so nervig ist, sondern die schönste und begehrenswerteste Frau der Welt.
Was sollten da die anderen denken? In der Truppe, in der Frauen nur „Tussi“ heißen und eine einzige Aufgabe zu erfüllen haben? Pit braucht lange, um sich darüber klar zu werden, dass sein Spielfeld nicht am Stadionzaun endet und dass er selbst es in der Hand hat, zu bestimmen, wohin der Ball rollt. Peter Winzer wagt es wirklich: Ein Hooliganbuch mit Happy End. (mz)
