Altes Theater Altes Theater: Abschlussfeier zum Auftakt
DESSAU-ROSSLAU/MZ. - "Abschlussfeier" heißt der Text, den er hier inszeniert - was wie ein ironischer Kontrast zur Aufbruchstimmung im neuen Team um den Generalintendanten André Bücker klingt.
Koproduktion mit Berlin
Und dennoch ist es die größtmögliche Hilfe, die der Intendant des Berliner Maxim-Gorki-Theaters seinem Dessauer Kollegen zum Start bieten kann: eine Uraufführung von Einar Schleef, besetzt mit zwei früheren "Nachwuchsschauspielerinnen des Jahres" - Hilke Altenfrohn und Julischka Eichel - sowie mit der aktuellen Bundes-Filmpreisträgerin Ursula Werner. Und mit den Dessauer Schauspielerinnen Christel Ortmann sowie Regula Steiner, die so ihr unverhofftes Debüt an der Petras-Bühne feiern, die das Stück koproduziert.
Wie es kommt, dass der ansonsten zwischen Hamburg, Frankfurt und Köln pendelnde Gorki-Express nun in Anhalt Station macht? Einerseits könne er, spricht Petras unter dem Schirm seines unvermeidlichen Basecaps hervor, bei Schleef nun einmal nicht Nein sagen. Neben dem großen Werk "Gertrud" hat er immer wieder Erzählungen des 1944 in Sangerhausen geborenen und 2001 in Berlin gestorbenen Künstlers dramatisiert - "Das Denkmal" und "Das Haus", "Die Bande" und "Zigaretten". Dass sich die Dessauer nun die Rechte an der "Abschlussfeier" gesichert haben, sei einfach zu verlockend gewesen - zumal dieser Text in seiner Struktur nur geringer Veränderungen bedürfe, um dramatisch umgesetzt werden zu können.
Zum anderen aber reizt ihn die mitteldeutsche Region, in der auch sein literarischer Schatten Fritz Kater das Material für "Sterne über Mansfeld" oder "Tristan (zu Heaven)" gefunden hat. Natürlich sei die Stadt Dessau mit ihren tiefen Narben, aber auch mit ihrem wunderschönen Umland für Theater interessant - gerade weil man sich fragen müsse, wie die Einheimischen mit dieser Spannung umgehen. Deshalb lobt Petras das neue Spielzeit-Heft - in dem der Blick auf die Wirklichkeit vor Ort gelenkt wird - als Broschüre, die sich deutschlandweit sehen lassen könne. Auch dass bei den Proben im Stadtraum "manchmal ein paar Betrunkene mittanzen", stört ihn nicht. Armin Petras geht eben dahin, wo das Leben spielt - nicht nur in Berlin, wo sein Ensemble eine Collage aus Texten von Thomas Brasch sogar in der U-Bahn zeigt.
Was aber erzählt die "Abschlussfeier"? Eine DDR-Geschichte aus den späten 70er Jahren, eine Parabel auf die Angst vor dem Fremden und die Sehnsucht nach dem Unbekannten. Gezeigt wird das Finale eines Deutsch-Kurses für Franzosen, der in der Jugendherberge "Käthe Niederkirchner" in Kühlungsborn mit einer Party zu Ende geht. Dass um 22 Uhr Nachtruhe sein soll und keine anderen Gäste Zutritt haben, stört in dieser Nacht offenbar niemanden ...
Eine solche Eskalation des Normalen, den Drift aus dem Alltag in den Ausnahmezustand kann kaum ein Regisseur so genau in Szene setzen wie Armin Petras. Und dass er dies lange in der Provinz geübt hat, bevor man ihn für das Hamburger Thalia-Theater und das Schauspiel Frankfurt, für das Deutsche Theater und schließlich als Intendant für das Gorki-Theater in Berlin verpflichtete, hilft ihm nun auch bei seinem Gastspiel in Dessau. Dass man sich freilich auf seine Arbeitsweise erst einstellen muss, hat er auch hier wieder erlebt: "Die beiden Damen aus dem Ensemble waren am Anfang sehr aufgeregt - doch seitdem sie meine Methode verstanden haben, gehen sie zauberhaft damit um."
Mut zur Veränderung
Wie gut Petras begreift, welche Angst das Unbekannte auslösen kann, sieht man in all seinen Auseinandersetzungen mit (ost)deutscher Geschichte - zuletzt in der Leipziger Clemens-Meyer-Dramatisierung "Als wir träumten" und in der Berliner Bearbeitung von Werner Bräunigs "Rummelplatz", die im Herbst auch in Halle zu sehen sein wird. Dass Theater freilich seine Kraft auch aus der positiven Umwidmung solcher existenziellen Nöte gewinnt, zeigt seine Reaktion auf die Unruhe, die der personelle Wechsel in Dessau ausgelöst hat: "Mich", sagt er achselzuckend, "hat damals Herbert Olschok in Chemnitz zum Gehen aufgefordert" - eben jener Regisseur, der bis zum Ende der Saison Schauspieldirektor in Dessau war.