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Alkohol in der DDR Alkohol in der DDR: Mit vollen Pullen zur Zukunft voran

Von Andreas Montag 16.07.2012, 19:35
DDR-Werbung war oftmals völlig schmerz- und schamfrei. Oder Realsatire
DDR-Werbung war oftmals völlig schmerz- und schamfrei. Oder Realsatire SAMMLUNG UTE HERZOG/STÄDTISCHE MUSEEN JENA Lizenz

Jena - Kulturvoll ist etwas anderes, mag man geschmäcklerisch einwenden wollen: Wenn Frauen und Männer sich bis zum Erreichen der Trunkenheit mit Alkohol abfüllen, sei eher das Gegenteil von Kultur zu beobachten.

Nun ist dies immer eine Frage der Definition, so unstrittig der Tatbestand auch sein dürfte, dass sich die DDR, ohnehin immer auf Kollektivität und Weltniveau bedacht, in Sachen gemeinschaftlichen Saufens weißgott nicht vor anderen Ländern verstecken musste.

Im Stadtmuseum Jena wird derzeit an die Trinkgewohnheiten in der Republik der Arbeiter und Bauern erinnert, manches davon ist schon vergessen, anderes wirkt wie eine Geschichte aus einem sehr fernen Land. Und das ist die DDR inzwischen ja auch geworden, so sehr sie Biografien geprägt hat. Inzwischen sind selbst die Älteren aus ihren ostdeutschen Schuhen herausgewachsen.

Im Pro-Kopf-Verbrauch von Bier und Spirituosen belegten die Ostdeutschen im weltweiten Vergleich seit 1982 einen der Spitzenplätze, berichtet Thomas Kochan in seinem Beitrag "Die alkoholzentrierte Gesellschaft DDR", der sich im Begleitbuch zur Jenaer Schau findet.

Fasst man den Kulturbegriff also weit und zählt alle Formen menschlicher Tätigkeit und Kommunikation hinzu, ist das Trinken von Alkohol jedenfalls ein beachtliches Phänomen, übrigens auch in der bürgerlichen Gesellschaft.

Sich die Trinkerfestspiele des Ostens zu vergegenwärtigen, ist einerseits von großem Reiz, andererseits birgt es die Gefahr in sich, etwas zu bagatellisieren und mit Girlanden von Anekdoten zu bekränzen, das durchaus ernst genommen zu werden verdient.

Denn oftmals hat das Trinken in der DDR, nicht selten als Koma-Saufen betrieben, lange bevor dieser unschöne Begriff geprägt worden war, alle Zeichen eines Abtötungsverfahrens gehabt. "Halb besoffen ist rausgeschmissenes Geld" flachste der Volksmund. Und er wusste auch: "Jeden Tag blau heißt auch regelmäßig gelebt." Aber dahinter stand immer auch die Flucht vor einer Realität, gegen die der Einzelne wenig auszurichten wusste: Ob es Ärger im Betrieb oder mit der staatlichen Obrigkeit gab, ob man wütend war, nicht reisen zu dürfen, wohin es einen zog, oder nur Krach mit der oder dem Liebsten zu Hause hatte - ein Grund zum Trinken ließ und lässt sich immer finden. Hier hat die DDR gewiss nicht das Monopol besessen. Aber eine Menge Aktien.

Wer die Trostlosigkeit von Bahnhofskneipen in den mitteldeutschen Industrieregionen gesehen hat, wird viel vom Leben der Ostler verstanden haben: Graugesichtige, müde Leute hockten da vor ihrem Bier und dem unvermeidlichen Klaren, zwei, drei solcher "Gedecke" passten immer hinein, mancher schaffte das Vielfache davon.

Und der Staat, sonst nach eigenem Bekunden so überaus bedacht auf die Wohlfahrt seiner Bürgerinnen und Bürger, hat alleweil Sorge dafür getragen, dass es Bier und Schnaps in nötiger Menge gab. So groß konnte der jeweilige Engpass nicht sein - für die stabile Versorgung mit "blauem Würger", einem Billig-Wodka, reichte es immer.

Gesoffen wurde viel im Land DDR, nicht nur aus Verzweiflung. Auch als Lebenshaltung. Ausgeprägt war die Bohème, sie lebte in kleinen, informellen Kreisen in Berlin, Leipzig, Halle, Jena und praktisch überall, wo Künstler und Intellektuelle sich trafen und ihre Form der Gegenkultur in Diskussionen, frühen Happenings und der Lesung verbotener Texte fanden - aber stets auch mit reichlich Bier und Schnaps. Der Dichter Adolf Endler pflegte seine zumeist in Berliner Wohnzimmern stattfindenden Untergrundlesungen eine Zeit lang demonstrativ mit einer Flasche Whisky zu beginnen, aus der er dann auch rüstig trank.

In dem Band "Gastlichkeit aus guter Tradition!", der die Jenaer Ausstellung informativ begleitet, berichtet Heinz Voigt über ein "Vorkommnis" bei Ludwig Hauser in der "Wein-Tanne", einer Szenekneipe. Dort versammelte sich am Abend eines 1975er Frühlingstages eine illustre Runde Jenaer Widerständler um den Dichter Jürgen Fuchs, der Star des Abends war aber kein Geringerer als der Dichter und Sänger Wolf Biermann.

Zu vorgerückter Stunde und nach reichlich vielen Bieren sang der dann, zum Entsetzen des Wirtes, Lieder aus der verbotenen "Drahtharfe" - ob mit oder ohne Gitarre, darüber gehen die Erinnerungen der Zeitzeugen offenbar auseinander. Sicher indes scheint zu sein, dass der schweißüberströmte Kneipenwirt in seiner Not eine große Tat vollbrachte, um die politische Lage zu deeskalieren - und möglichen Schaden zumal von seiner Kneipe abzuwenden: "Freibier für alle", soll er gebrüllt haben. Das hörte man gern. (mz)

Ute Herzog, Bardame der Klubbar im Kulturhaus Lobeda-West, aufgenommen 1983.
Ute Herzog, Bardame der Klubbar im Kulturhaus Lobeda-West, aufgenommen 1983.
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